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Tannöd

Tannöd

Titel: Tannöd
Autoren: Andrea Schenkel
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frevelhaften
Tat.
    Gottes Mühlen mahlen langsam,
ich glaube jedoch fest daran, dass diese Tat nicht ungesühnt
bleiben kann. Wenn nicht hier und heute ein Urteil über den
oder die Täter gefällt wird, so wird er oder die doch
seiner oder ihrer gerechten Strafe nicht entgehen. Ich bin fest der
Meinung, es kann keiner aus unserer Mitte der Täter sein.
Keinem meiner Gemeindemitglieder würde ich solch eine Tat
zutrauen. Solch eine teuflische Tat kann doch kein rechtschaffener
Christ verübt haben. Was aus dem Mann der Barbara wurde?
Meinen Sie den Vinzenz?
    Das Gerücht geht um, er soll
nach Amerika ausgewandert sein. 
    Tatsache ist aber, er ist nicht
mehr hier. Verschwunden von einem Tag auf den anderen. Der Vinzenz
war einer jener Entwurzelten, die in den Wochen und Monaten nach
Kriegsende auf der Suche nach einer neuen Heimat, einem Platz zum
Leben, zum Überleben zu uns kamen.
    Er fand Arbeit auf dem Hof der
Familie Danner. Erst als die Barbara schwanger war, heiratete sie
den Vinzenz.
    Ich kann es zwar nicht
gutheißen, aber gleich nach dem Zusammenbruch waren die
Begriffe von Moral und Ordnung doch etwas durcheinander geraten.
Nach diesem ungeheueren Inferno hatten die Menschen nicht nur
Hunger nach Nahrung, nein, auch Hunger nach körperlicher
Nähe.
    Es war eine der ersten Trauungen,
die ich in meiner neuen Pfarrei vollziehen durfte. Warum diese
Verbindung nicht von Dauer war? Manchmal treffen in
stürmischen Zeiten Menschen aufeinander, die unter anderen
Bedingungen nie zusammengefunden hätten. Viele dieser
Bindungen bleiben bestehen, trotz der Widrigkeiten des Alltags,
andere zerbrechen an eben diesen. Der Spangler Vinzenz war kein
Bauer und konnte sich mit den Verhältnissen auf dem Hof nicht
anfreunden. Vor allen Dingen war sein Verhältnis zum
Schwiegervater sehr schwierig, also ging er.
    Vor zwei Jahren nun wurde die
Barbara erneut schwanger. Als Kindsvater vom kleinen Josef wurde
der Georg Hauer ins Taufregister eingetragen. Ich möchte
darüber den Stab nicht brechen.
    In der Woche vor ihrem
schrecklichen Tod kam die Barbara zu mir ins Pfarrhaus. Sie wolle
zur Beichte, sagte sie. Überlegte es sich jedoch noch im
gleichen Augenblick anders. Sie wirkte fahrig, nervös. Etwas
belastete ihr Gewissen. Ich forderte sie auf, ihr Gewissen zu
erleichtern.
    Daraufhin änderte sich ihre
Stimmung, sie wurde trotzig, fast aufsässig. Es gebe nichts zu
beichten. Sie müsse für nichts Abbitte leisten, sie habe
nichts Unrechtes getan. Sie wandte sich zum Gehen. Ich hielt sie
auf, da sie einen Briefumschlag hatte liegen lassen. Das könne
ich haben, für die Kirche, oder für die bedürftigen
Seelen.
    »Machen Sie doch damit, was
Sie wollen. Mir ist's egal.«
    Sie verließ daraufhin hastig,
ohne ein weiteres Wort das Haus. In dem Umschlag befanden sich 500
Mark. Ich habe ihn noch bei mir im Schreibtisch liegen.
    Der Schweiß steht Barbara auf
der Stirn. Trotz der Kälte, trotz des kalten Windes, der ihr
entgegenbläst, schwitzt sie. Schnellen Schrittes hetzt sie den
Weg zu ihrem Anwesen hinauf. Zu ihrem Anwesen. Der Vater hat ihr
den Hof überschrieben. Sie ist ihr eigener Herr, ihr
Herr.
    Beim Pfarrer war sie. Zögernd
war sie in sein Zimmer getreten. Sie suchte einen Vorwand. Wollte
mit ihm sprechen, sich und ihrem Gewissen Erleichterung
verschaffen.
    Als sie dann vor dem Priester
stand, wie ein Schulmädchen stand sie da, wollten die Worte,
die sie sich vorher zurechtgelegt hatte, nicht über ihre
Lippen. Hinter seinem Schreibtisch saß er.
    Was sie zu ihm führt? Ob ihr
etwas auf der Seele laste? Dabei hatte er ein Lächeln um den
Mund. Dieses allwissende, selbstgefällige Lächeln. Seine
Aufforderung, ihr Gewissen zu entlasten und dazu dieses
Lächeln, der Blick hatten genügt, ließen sie
vollends verstummen. Warum sollte sie dies tun.
    Wollte dieser Mann ihr Richter
sein? Richten über ihre Taten, über ihr Leben? Nein, sie
wollte nicht mit ihm darüber sprechen. Wollte sich nicht von
einem Mann die
Absolution erteilen lassen. Welche Absolution, warum
auch.
    Sie hatte nichts Unrechtes getan.
Ihr war Unrecht widerfahren. Seit ihrem zwölften Lebensjahr
war ihr Unrecht widerfahren.
    Lange Jahre hatte sie gegen ihr
Schuldgefühl angekämpft, hatte immer getan, was von ihr
verlangt wurde.
    In der Schule wurde gelehrt, dass
Eva Adam den Apfel gab und beide deshalb die Erbschuld trugen und
aus dem Paradies vertrieben wurden. Sie hatte niemanden aus dem
Paradies vertrieben. Nein, sie war daraus
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