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Tannöd

Tannöd

Titel: Tannöd
Autoren: Andrea Schenkel
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ihr auch eine
mitgebracht, aber die musste ich dann selbst essen, weil sie nicht
in der Kirche war.
    Was wir immer so gemeinsam machen?
Was man halt so spielt, Räuber und Gendarm, Fangeries,
Verstecken. Im Sommer ab und zu bei uns im Hof Verkaufen. Da
richten wir uns am Gartenzaun zum Gemüsegarten einen kleinen
Laden ein. Mama gibt mir dann immer eine Decke und wir können
unsere Sachen darauf ausbreiten: Äpfel, Nüsse, Blumen,
buntes Papier oder was wir halt so finden.
    Einmal hatten wir sogar Kaugummi,
den hat meine Tante mitgebracht. Der schmeckt prima nach Zimt.
Meine Tante sagt, die Kinder in Amerika essen das immer. Meine
Tante arbeitet nämlich bei den Amis und ab und zu bringt sie
Kaugummi und Schokolade und Erdnussbutter mit. Oder Brot
in so komischen grünen Dosen. Einmal im letzten Sommer sogar
Eis. Meine Mama ist davon nicht so begeistert, weil der Freund von
der Tante Lisbeth ist nämlich auch aus Amerika und ganz
schwarz.
    Die Marianne sagt immer, ihr Papa
ist auch in Amerika und er kommt sie ganz bestimmt bald holen. Aber
das glaube ich nicht. Ab und zu schwindelt die Marianne
nämlich ein bisschen. Mama sagt, das darf man nicht, und wenn
die Marianne wieder eine ihrer Schwindelgeschichten erzählt,
streiten wir. Meistens nimmt dann jeder seine Sachen aus dem
Kaufladen weg und wir können nicht mehr weiterspielen und die
Marianne läuft dann nach Hause. Nach ein paar Tagen verstehen
wir uns dann wieder. An Weihnachten habe ich eine Puppe vom
Christkind bekommen und die Marianne war ganz neidisch. Sie hat nur
eine ganz alte, die ist aus Holz und noch von ihrer Mutter. Da hat
die Marianne wieder mit ihrer Geschichte angefangen. Ihr Papa kommt
bald und nimmt sie mit nach Amerika. Ich habe ihr gesagt, ich bin
nicht mehr ihre Freundin, wenn sie immer so viel lügt. Seitdem
hat sie nichts mehr darüber erzählt. Im Winter waren wir
ab und zu beim Schlitten fahren auf der Wiese hinter unserem Hof.
Das ist ein prima Schlittenberg, da kommen immer alle aus dem Dorf
hin. Wenn man nicht rechtzeitig bremst, saust man unten in die
Hecken. Dann gibt's zu Hause meistens Ärger. Marianne musste ab und
zu ihren kleinen Bruder mitnehmen, zum Aufpassen. Der hängt
einem dann immer am Rockzipfel. Ich habe ja keinen kleinen Bruder,
nur eine große Schwester, aber das ist auch nicht immer
schön. Die ärgert mich oft. Wenn der kleine Bruder mal in
den Schnee gefallen ist, hat er angefangen zu weinen und hat
meistens auch noch in die Hose gepieselt und Marianne hat dann nach
Hause gemusst und schlimmen Ärger bekommen. Weil sie nicht auf
ihn aufgepasst hat und weil er wieder in die Hose gemacht hat und
so weiter. Am nächsten Tag in der Schule war sie dann ganz
traurig und hat mir erzählt, dass sie weg möchte, denn
der Großvater ist so streng und die Mama von ihr auch. Vor ein
paar Tagen hat sie mir erzählt, dass der Zauberer wieder da
ist. Sie hat ihn im Wald gesehen und der bringt sie bestimmt zu
ihrem Papa. Ja, der Zauberer, hat sie gesagt. Diese Geschichte hat
sie im Herbst schon einmal erzählt, gleich nach Schulanfang,
und ich habe ihr nicht geglaubt, den Zauberer gibt es nicht und
Zauberer, die einem einen Papa herzaubern, der in Amerika sein
soll, die gibt es erst recht nicht. Da habe ich mich wieder mit ihr
gestritten und sie hat geweint und gesagt, den Zauberer gibt es und
er hat lauter bunte Flaschen in seinem Rucksack und andere bunte
Dinge und manchmal sitzt er einfach da und summt vor sich hin. Das
muss doch ein Zauberer sein, so wie der aus unserem Lesebuch. Da
habe ich gerufen »Lügnerin, Lügnerin« und sie
ist weinend heimgelaufen. Und weil sie doch am Samstag nicht in der
Schule war und sie doch die Rohrnudeln meiner Mama so gerne isst,
habe ich ihr am Sonntag eine in die Kirche mitgebracht. Aber da war
sie dann auch nicht. Mama hat gemeint, weil keiner von ihnen da
war, die sind vielleicht auf Verwandtenbesuch. Drüben in
Einhausen bei dem Bruder von ihrem Großvater. So habe ich halt
die Nudeln selber gegessen.
    Marianne liegt wach in ihrem Bett.
Sie kann nicht einschlafen. Sie hört das Heulen des Windes.
Wie die »wilde Jagd« rast er über den Hof. Die
Großmutter hat ihr schon oft die Geschichten von der
»wilden Jagd« und der »Trud« erzählt,
immer in den langen, dunklen Raunächten zwischen Weihnachten
und Neujahr.
    »Die ›wilde Jagd‹
saust vom Wind getrieben dahin, so schnell wie die Wolken im Sturm,
schneller noch. Sie sitzen auf Rössern, so schwarz wie der
Teufel«, hat die
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