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Tannöd

Tannöd

Titel: Tannöd
Autoren: Andrea Schenkel
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unerreichbar.
    Die Vorhänge nicht
geschlossen, im erleuchteten Zimmer ist sie gestanden. Sehen sollte
er sie und doch wissen, dass sie ihm nie gehören würde.
An dem Abend hatte er sich Mut angetrunken. Er wollte nicht noch
mal abgewiesen werden. Deshalb war er in den Stadel eingedrungen.
Vom Stadel aus konnte man leicht ins Haus gelangen. Das wusste er,
vom Stadel durch den Futtergang im Stall hinüber in das
Haus.
    Sie sollte ihn nicht wieder
abweisen können. Abweisen wie einen streunenden Hund. Dabei
war doch der Alte der Hund, das Vieh, nicht er. Sprechen wollte er
mit der Barbara, sie überreden, zu ihm zurückzukehren.
Mehr wollte er nicht. Nur reden.
    Wie die Barbara dann vor ihm
gestanden ist. Ihn ausgelacht hat, verhöhnt hat, er solle sich
anschauen, im Spiegel solle er sich anschauen. Ihr Vater sei ihr
tausendmal lieber gewesen als er, dieser nach Alkohol stinkende
Waschlappen. Beschimpft hatte sie ihn, gedemütigt. Als er
versuchte, sie an sich zu ziehen, hat sie sogar nach ihm
geschlagen. Mit beiden Händen hat er da nach ihrem Hals
gegriffen. Fest gepackt hat er sie am Hals und zugedrückt hat
er. Mit seinen Händen hat er zugedrückt.
    Diese Hände hält er
jetzt vor sich, sieht sie an, Hände voller Schwielen von der schweren
Arbeit, die sie ihr ganzes Leben lang verrichtet haben. Er
erzählt weiter, die ganze Geschichte muss er ihr
erzählen. Beichten muss er. Nicht nur die Mordnacht, nein,
alles muss er loswerden. Wie ein reißender Strom bricht es aus
ihm heraus. Die Flut reißt ihn mit sich fort. Anna ist der
rettende Ast, an ihn klammert er sich. Sie soll ihn retten vor den
Fluten, retten vor dem Ertrinken. Von diesem Zwang befreien will er
sich. Befreien von allem, was seit Jahren auf ihm liegt. Die
Absolution soll sie ihm
geben.     
    »Die Barbara, die war eine
kräftige Frau, sie wehrte sich. Irgendwie konnte sie sich
meinem Griff entwinden.«
    Warum und woher er plötzlich
die Hacke hatte, er kann es nicht sagen, weiß nicht mehr, wann
er das erste Mal damit zugeschlagen hat.
    Alles, was er sieht, ist die
Barbara vor sich auf dem Boden liegend. Nicht mehr bewegt hat sie
sich, nicht mehr gerührt.
    Wegziehen wollte er sie, aus dem
Licht weg ins Dunkel.
    In diesem Augenblick steht die
alte Dannerin in der Tür. »Ich wollte nicht, dass sie zu
schreien anfängt.« Ohne Überlegung, ohne Zögern
erschlug er auch sie. Einen um den anderen erschlug er. Wie im
Rausch. In einem Rausch aus Blut, die Sinne vernebelt, nicht mehr Herr seiner
Selbst. Nein, nicht er hat sie erschlagen, nicht er. Die
»wilde Jagd«, die von ihm Besitz ergriffen hat. Der
Dämon, der Verderber, er hat sie erschlagen, alle. Zugesehen
hat er sich selbst, zugesehen, wie er sie alle erschlagen hat.
Konnte nicht glauben, dass er zu so etwas fähig wäre,
dass überhaupt ein Mensch zu so etwas fähig wäre.
Vom Stadel sei er hinüber ins Wohnhaus gegangen, keiner sollte
überleben. Keiner. Alle wollte er sie töten. Es war wie
ein Zwang, eine innere Stimme, der er gehorchte. Hörig war er
dieser Stimme, wie er der Barbara hörig gewesen war. Genauso
maßlos in seinem Verlangen, sie alle zu töten, wie er
zuvor in seinem Verlangen nach ihrem Körper gewesen war. Ja,
die gleiche Gier hatte er empfunden, die gleiche Befriedigung
gefunden. Er wollte keinen zurücklassen, keinen. Die neue Magd
in ihrem Zimmer, beinahe hätte er sie übersehen.
Hätte ihr das Leben geschenkt, er, der Herr über Leben
und Tod, der er war in jener Nacht. Als der Sturm vorüber war,
versperrte er den Stadel und das Haus.
    Erst da nahm er den Schlüssel
mit. Den Schlüssel, mit dem die Haustür verriegelt war.
Er brauchte ihn, wollte er wiederkommen und seine Spuren
verwischen. Seine Gedanken waren auf einmal ganz klar gewesen. So
klar wie schon seit einer Ewigkeit nicht. Alles sah er vor sich,
wusste plötzlich, was er machen musste.
    Er würde kommen, das Vieh
füttern und versorgen. Seine Spuren beseitigen.
    Er hatte sich von einem Dämon
befreit, von seinem Dämon.
    Alles sollte nach einem
Raubüberfall aussehen. Je mehr Zeit verging, desto besser war
es für ihn. Er würde nicht in Verdacht geraten. Er hatte
nichts getan. Nur der kleine Josef ging ihm nicht aus dem Kopf, wie
er in seinem Blut im Bett lag. Dieses Bild konnte er nicht
vergessen. Warum er alle umgebracht hat?
    »Warum bringt einer alle um?
Warum tötet er, was er liebt? Anna, nur was man liebt, kann
man auch töten. Weißt du, Anna, was in den Köpfen
der Menschen vor sich geht?
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