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Tannöd

Tannöd

Titel: Tannöd
Autoren: Andrea Schenkel
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Marie noch einmal gerufen hat,
bin ich stehen geblieben und vom Rad abgestiegen. Die Marie ist mir
nachgelaufen und hat mich ganz fest gedrückt. Ganz fest. So
als wollte sie gar nicht loslassen. Richtig losreißen musste
ich mich, ganz schnell bin ich aufs Rad.
    In die Pedale bin ich getreten,
wie verrückt. Ich wollte nicht mehr stehen bleiben.
    Das Haus, der Hof, nein, da
möchte ich nicht mal beerdigt werden, hab ich mir noch
gedacht. Geschüttelt hat es mich.
    Wie kann es ein Mensch da
draußen bei diesen Leuten nur aushalten. Die arme Marie, wie
kann sie es bei denen bloß aushalten. Voller Gram war ich, die
Brust war mir ganz eng, aber was hätte ich machen sollen? Bei
uns auf dem Kanapee, da konnte die Marie nicht mehr bleiben und dem
Erwin war das Ganze auch nicht recht, der wollte sie schon lange
loswerden.
    Ich bin geradelt und geradelt. Ich
hab nicht angehalten. Ich wollt nur weg, weg, weg! Auch vor meinem
schlechten Gewissen wollte ich weg. Irgendwann lief mir Wasser
über die Wangen. Zuerst hab ich noch gedacht, weil ich so
schwitze vom Radln. Aber dann hab ich es gemerkt. Es waren
Tränen.
    Marie geht gleich nach dem
Abendbrot in ihre Kammer, neben der Küche.
    Das Zimmer ist klein. Ein Bett,
ein Tisch, eine Kommode und ein Stuhl, mehr hat nicht Platz. Auf
der Kommode die Waschschüssel mit dem Krug. Gegenüber der
Tür ein kleines Fenster. Wohin kann sie sehen, wenn sie aus
dem Fenster schaut? Vielleicht Richtung Wald? Morgen wird sie es
wissen. Marie würde gerne den Wald durch ihr Fenster
sehen.
    Die Fensterbank ist mit Staub
bedeckt. Ebenso der Tisch, die Kommode. Die Kammer ist schon seit
längerem unbewohnt. Die Luft im Raum abgestanden, muffig.
Marie stört sich nicht daran. Sie öffnet die
Tischschublade. Es liegt ein alter Zeitungsausschnitt darin. Ganz
vergilbt, ein Wäscheknopf und die Klammer eines Einmachglases.
Marie schiebt die Schublade wieder zu.
    Rechts von ihr steht das Bett. Ein
einfaches braunes Holzbett. Die Zudecke mit einem weißblauen
Bezug, das Kopfkissen ebenfalls.
    Marie setzt sich seufzend auf ihr
Bett. Eine Weile sitzt sie da und blickt sich im Raum um.
Lässt ihren Gedanken freien Lauf.
    Sie vermisst die Traudl und die
Kinder. Aber es ist besser, in einem Bett als auf dem Kanapee zu
schlafen, und den Erwin, den muss sie jetzt auch eine Weile nicht
mehr sehen.
    Der Erwin hat sie nicht gemocht,
das hat die Marie gleich gespürt, wie sie an Neujahr zur
Traudl gezogen ist. Wie er zur Tür hereingekommen ist, kein
Gruß, kein Handschlag, nichts. Zur Traudl hat er nur gesagt:
»Was will denn die da?«, dabei hat er mit dem Kopf in
ihre Richtung genickt, ohne die Marie auch nur anzusehen. »Die
wohnt jetzt bei uns bis sie eine neue Stelle hat«, hat da die
Traudl nur geantwortet. »Ich mag keine Leut, die mir auf der
Tasche liegen«, kam von ihm nur zurück.
    Sie, die Marie, hat so getan, als
ob sie es nicht gehört hätte. Aber das Herz hat ihr weh
getan, weil der Erwin so ein grober Klotz ist. Gesagt hat sie das
der Schwester nie, aber gedacht hat sie es sich. Für
»dumm« hat er sie gehalten, »einfältig«,
»zurückgeblieben«, »nicht ganz richtig im
Kopf«, alles das und noch mehr hat sie ihn sagen hören
und dabei immer geschwiegen. Wegen der Traudl und wegen der Kinder.
Sie konnte doch sonst nirgends hingehen. Sie hat doch nur die
Traudl und die Kinder. »Gott sei Dank gibt es hier auf dem Hof
auch Kinder«, denkt sich die Marie. 
    Mit Kindern kann sie gut umgehen.
»Kinder sind das Salz der Erde« ist einmal auf einem
Kalenderblatt gestanden. Sie hat sich diesen Spruch gemerkt. Sie
mag diese Kalendersprüche und wenn ihr einer besonders gut
gefällt, hebt sie sich das Kalenderblatt auf, liest den Spruch
immer wieder.
    Marie seufzt, steht vom Bett auf,
fängt an, ihre Sachen in die Kommode einzuräumen. Sich in
der Kammer etwas einzurichten. Immer wieder hält sie inne.
Setzt sich auf ihr Bett. Die Arme fallen kraftlos in ihren
Schoß, bleischwer. Immer wieder geht sie in Gedanken
zurück. Denkt an die Kirchmeierin, wie gern sie doch für
die alte Frau gearbeitet hat. Auch wenn die immer wunderlicher
geworden ist. Denkt an ihren Bruder, den Ott. Der war aus demselben
Holz geschnitzt wie der Erwin. Da brauchte einer die Hand nicht
umdrehen. Ausgeholfen hatte sie vor ein paar Wochen bei ihm, wie
seine Frau so krank und malade geworden ist. Froh war sie gewesen,
da wieder wegzukommen.
    Sie reißt sich zusammen.
»Es hat keinen Taug ewig da zu sitzen und über das
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