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Tannöd

Tannöd

Titel: Tannöd
Autoren: Andrea Schenkel
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ist wie mit einem
milchig weißen Schleier aus Dunst überzogen. Typisch
für diese Jahreszeit. Vom Waldrand her ziehen die ersten
Nebelschwaden Richtung Wiese, Richtung Haus. Es ist später
Nachmittag und der Tag neigt sich seinem Ende zu. Die
Dämmerung zieht langsam herauf. Er geht auf das Haus zu. Die
Post steckt zwischen den Gitterstäben, mit denen das Fenster
neben der Haustür gesichert ist.
    Ist keiner im Haus, legt der
Postbote immer hier die Post ab. Ein Briefkasten war so nicht
nötig. Es kommt außerdem selten vor, dass gar keiner auf
dem Hof ist. Die Post wird meistens direkt in Empfang genommen und
für den Ausnahmefall bietet sich das Fenster neben der
Tür an. Eine Zeitung, nichts sonst, steckt zwischen den beiden
Gitterstäben und der Fensterscheibe. Er klemmt sie sich unter
den Arm, holt aus seiner Jackentasche den
Haustürschlüssel hervor.
    Ein großer, schwerer
altmodischer Schlüssel, aus Eisen. Mit den Jahren blauschwarz
schimmernd vom Gebrauch. Er steckt den Schlüssel ins Schloss
und entriegelt die Haustür.
    Nach dem Öffnen der Tür
kommt ihm ein Schwall abgestandener, leicht modrig riechender Luft
entgegen. Kurz bevor er in das Haus tritt, dreht er sich um, blickt
nach allen Seiten. Er geht hinein und versperrt die Tür wieder
hinter sich.
    Er geht den Hausgang entlang bis
zur Küche. Öffnet die Küchentür und geht
hinein. Mit am Morgen übrig gebliebenem Holz schürt er
den Küchenherd an. Füllt wie in der Frühe den
Dämpfer mit Kartoffeln. Füttert und tränkt das Vieh.
Melkt die Kühe, versorgt die Kälber. Dieses Mal
verlässt er jedoch das Haus nicht, nachdem er die Arbeit im
Stall erledigt hat. Er geht hinaus in den Stadel, nimmt die
Spitzhacke, die er sich bereit gelegt hat und versucht in der
rechten Ecke des Stadels eine Vertiefung in den Boden zu schlagen.
Mit der Hacke lockert er den festgetretenen Lehmboden.
Stößt aber kurz unter der Oberfläche auf steinigen,
felsigen Grund. Er versucht es an einer anderen Stelle nochmals.
Auch hier ohne Erfolg. Er lässt von seinem Vorhaben
ab.
    Stampft die aufgelockerte Erde mit
seinen Schuhen wieder fest und verstreut Stroh darüber. Er
kehrt in die Küche zurück. Hungrig geworden von der
Anstrengung, schneidet er sich in der Vorratskammer ein Stück
vom Rauchfleisch ab. Nimmt den letzten Kanten Brot, der im
Küchenschrank liegt. Noch ein Schluck Wasser aus der Leitung
und er verlässt Küche und
Haus.    

 
    Kurt Huber Monteur, 21 Jahre
    Am Dienstag war's, ja am Dienstag,
dem 22.3.195 … der alte Danner hatte schon eine Woche zuvor
bei uns angerufen, in der Firma. Ganz pressant hatte er es
gemacht.
    Aber das Wetter war nicht so, da
konnte einer nicht einfach die Dreiviertelstunde mit dem Radi
rausfahren. Immer geschneit hat es und geregnet auch zwischendurch.
War so ein richtiges Scheißwetter. Und Arbeit hatten wir in
der Firma ja auch noch genügend.
    Ich muss ehrlich sagen, ich fahre
nicht gerne zu denen nach Tannöd raus.
    Warum? Na, die sind ziemlich
komisch. Eigenbrötler. Und geizig sind die. So richtig geizig,
neiden einem jedes Stück Brot, jeden Schluck Wasser. Als ich
im Sommer schon einmal den Motor der Futterschneidemaschine
reparieren musste, haben die mir nicht einmal eine Brotzeit
angeboten. Obwohl ich doch über fünf Stunden
ununterbrochen an diesem Motor herumgeschraubt und gearbeitet habe.
Nicht einmal ein Glas Wasser oder eine Tasse Milch, geschweige denn
eine Halbe.
    Aber, wenn ich ehrlich bin, ich
hätte sowieso nichts runtergekriegt bei denen. Da war
alles so dreckig und schmierig. So was kann ich nicht leiden. Wie
ich mir die Hände abgewaschen habe, am Wasserhahn in der
Küche, hab ich mir die Küche genauer angeschaut. Nein,
pfui, wie man in so einer Schlamperei leben kann. Ich könnt
das nicht. Die alte Dannerin, in ihrer geflickten, dreckigen
Schürze. Ihr kleiner Enkel, immer mit einer Rotzglocke. Ja
glauben Sie, die hätte dem Kind die Nase geputzt. Der Kleine
ist auf dem Küchenboden rumgekrabbelt, hat ab und zu was
aufgehoben und in den Mund gesteckt. Die Dannerin hat zugeschaut
und nichts gesagt. Wie der Kleine zu weinen angefangen hat, hat ihn
die Alte auf ihren Schoß gesetzt und ihm seinen Dutzl
gegeben. Zuvor hat sie den Dutzl noch abgeschleckt und in die
Zuckerdose, die auf dem Tisch stand, getaucht. Abgeschleckt und in
die Zuckerdose getunkt. Das müssen Sie sich mal vorstellen.
Alles hat geklebt, die Dose war ganz verkrustet, vom Speichel und
vom Zucker.
    Also ich versteh das nicht.
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