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Aibon-Teufel

Aibon-Teufel

Titel: Aibon-Teufel
Autoren: Jason Dark
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»Wenn ich läute, dann musst du kommen!«
    So hatte sie zu ihrem Mann Harold Holbrook gesprochen. Durch den Klang der Glocke würde seine Frau ihre letzte Stunde einläuten, das wusste er.
    Sie brauchte nur die Hand zu heben, um das dünne Seil greifen zu können. Wenn sie daran zog, wurde die Kraft über mehrere Bänder weiter in ein anderes Zimmer geleitet, wo dann die alte Glocke anschlug, deren Klang durch das Haus hallte.
    Die bleiche, abgemagerte Hand zerrte heftig. Liane hörte den Klang. Jetzt war ihr klar, dass es kein zurück mehr für sie gab. Der Tod ließ sich nicht überlisten.
    Ihr Arm fiel wieder nach unten und blieb auf der Decke liegen. Die schlichte Bewegung hatte die Frau angestrengt. Aus dem halb geöffneten Mund drang rasselnd der Atem.
    Sie wartete. Nur wenige Minuten verstrichen, da wurde die Zimmertür geöffnet. Sie hörte das ihr so bekannte Knarren und drehte den Kopf, damit sie den Eintretenden erkennen konnte.
    Es war ihr Mann. Er ging leise, was bei seiner großen, schweren Gestalt gar nicht so einfach war. Das Holz der Dielen stöhnte unter dem Gewicht des Eintretenden, der aus dem Schatten kam und sich allmählich dem hellen Teil des Sterbezimmers näherte, in dem Liane lag.
    Ihr Bett stand am Fenster. Das hatte sie sich so gewünscht. So konnte sie nach draußen schauen, wenn sie den Kopf ein wenig anhob oder hingesetzt wurde. Jetzt sah sie Harold entgegen, der nach dem Schemel griff, ihn neben das Bett stellte und sich darauf niederließ.
    Der große, kräftige Mann wirkte schwach und verbraucht. Das dichte Haar wuchs ihm in die Stirn. Es war mit der Zeit grau geworden, ebenso wie der Bart. Er trug einen Pullover, Stiefel und eine dunkle Hose aus Jeansstoff. Die grauen Augen waren forschend auf das Gesicht seiner Frau gerichtet. Es war ihm anzusehen, dass es ihm schwer fiel, die wichtige Frage zu stellen.
    »Ist es bald so weit?«
    »Ja, Harold. Gib mir deine Hand.«
    Er nickte.
    Liane umklammerte die Finger ihres Mannes. Die Wärme der Haut tat ihr gut, denn ihre Hand war kalt, und sie war sicher, dass es die Vorboten des Todes waren.
    Etwa eine Minute passierte nichts. Das Ehepaar saß zusammen. Beide Menschen hingen ihren Gedanken nach. Die Blicke des Mannes waren auf das Gesicht der Frau gerichtet, als suchte er nach einem Zeichen, dass es ihr bald besser ging.
    »Ich weiß, was du denkst, Harold, aber ich muss dich enttäuschen. Diesmal ist es ernst. Es gibt kein Zurück mehr ins Leben. Ich habe den Mann mit der Sense bereits gespürt. Er hat mir erklärt, dass ich diese Nacht nicht überleben werde, und ich habe dich hergeholt, weil ich dich um etwas bitten möchte. Kein anderer soll es zunächst wissen. Du bist mein Vertrauter. Auch jetzt in den letzten Stunden meines Lebens.«
    Holbrook nickte schwer. Er musste schlucken, denn ein Kloß saß in seinem Hals.
    »Wenn ich tot bin«, flüsterte sie, »dann werdet ihr mich begraben. Aber ich will, dass es anders kommt. Ich will zu ihm. Ich will ihm geopfert werden. Er soll mich holen. Ich will ein Stück der Natur sein. Ich will in ihr sterben. Man wird mich holen, das weiß ich, und ich werde froh darüber sein. Versprichst du mir das?«
    Harold Holbrook zögerte, was seine Frau sehr wohl merkte. Deshalb hakte sie nach.
    »Versprichst du mir das?«
    »Gut. Wir machen es wie früher.«
    Plötzlich konnte sie lächeln. »Ja, wie früher. Es hat sich nichts verändert. Es ist alles so geblieben, auch wenn die Zeiten andere geworden sind. Ich werde der Menschheit noch einen großen Gefallen tun, das habe ich mir vorgenommen, denn nur so hat mein Sterben einen Sinn. Anders wäre es schlecht.«
    »Wer soll es tun?«
    »Nur du, Harold.«
    »Ja.«
    »Versprochen?«
    Er nickte.
    »Gib mir noch mal deine Hand, Liebster.«
    Holbrook zögerte. Er schluckte. Seine Augen waren längst feucht geworden. Wenn er seiner im Sterben liegenden Frau jetzt die Hand reichte, dann war es wohl die letzte Berührung in ihrem Leben, das Liane in der Einsamkeit verbracht hatte, ohne richtig einsam zu sein, denn dieses Leben hatte ihr gefallen. Es war ihr vergönnt gewesen, hinter die Kulissen zu schauen, und das hatte sie auch getan. Sie kannte sich aus in der Natur. Sie hatte sie durchforscht und so manche Dinge erlebt und gesehen, von denen andere Menschen nicht mal träumten.
    »Gib sie mir schon, Harold...«
    »Okay.«
    Wieder fanden sich die beiden Hände. Fast wie vor vielen Jahren, als sie geheiratet hatten. Doch jetzt war die Haut dünner geworden,
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