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Yofi oder Die Kunst des Verzeihens – Ein Nashorn lernt meditieren

Yofi oder Die Kunst des Verzeihens – Ein Nashorn lernt meditieren

Titel: Yofi oder Die Kunst des Verzeihens – Ein Nashorn lernt meditieren
Autoren: Oliver Bantle
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EINS
    Es war noch vor Sonnenaufgang. Die Savanne lag still. Yofi wachte auf und war durstig. Der Vollmond schien ihm direkt ins Gesicht.
    Der hat mich also geweckt. Ist man hier nie ungestört?
    Yofi war müde und mürrisch, denn er hatte zu wenig geschlafen. Bis spät in die Nacht hinein hatte er sich aufgeregt. Wenn er wütend war, schlief er schlecht.
    Er war oft wütend.
    Der Nashornbulle wollte noch etwas dösen. Vergeblich. Missmutig stand er auf und sah zu, wie es hell wurde.
    Yofi lebte am Fuße des Hohen Berges, der, wie jeden Morgen, von der Sonne angestrahlt wurde.
    Auf dem Gipfel glitzerte Schnee.
    Yofi witterte erneut den verhassten Geruch seines Nachbarn und erinnerte sich: Das war der Grund für die nächtliche Wut gewesen. Kurz vor dem Einschlafen hatte er Antros gerochen und überlegt, ob der Feind es wohl wagen würde, über die Grenze zum Wasserloch zu schleichen. Allein bei dem Gedanken war Yofi sauer geworden.
    Jetzt erwachte die Savanne: Die Vögel pfiffen, die Grillen sangen, die Affen schrien. In der Ferne brüllte ein Löwe.
    Können die nicht alle still sein?
    Yofi regte sich jeden Tag über den Lärm auf – und über das Wetter. Heute sah er den blauen Himmel und wurde noch zorniger.
    Es will mich schon wieder ärgern!
    Das Wetter war jeden Morgen anders, als er sich wünschte. Wenn der Wind wehte, war ihm zu kühl, ohne Wind zu heiß; zogen Wolken am Himmel, war es zu trübe, ohne Wolken zu hell.
    Gereizt schleppte er sich zum Wasserloch. Es war beinahe versiegt und nur noch eine Pfütze.
    War der Sturschädel doch hier?
    Yofi schätzte es nicht, wenn Andere von seinem Wasser tranken. Die meisten Tiere wussten das. Sie näherten sich erst, wenn der Bulle es freigab. Am liebsten hätte er das Loch für sich alleine. Vor Kurzem hatte er einen ganzen Tag lang versucht, alle von der Wasserstelle zu vertreiben: die Gnus, die Antilopen, die Zebras. Dabei war ihm so heiß geworden, dass er viel mehr trinken musste, als die Anderen zusammen getrunken hätten.
    An diesem Morgen schlürfte er das Wasser gierig in sich hinein. Kaum erfrischt, spürte er, wie sich Parasiten in seiner Haut festbissen.
    Ärgerlich zuckte er mit den Falten, um die Insekten zu zerquetschen. Trotzdem wurden es mehr.
    Wo bleibt denn Suru?
    Das Nashorn hasste, wenn jemand unpünktlich war.
    Er hat keinen Respekt mehr vor mir. Sonst wäre er längst aufgetaucht.
    Der Kuhreiher Suru kam jeden Morgen zu Besuch. Er fraß sich mit Parasiten voll und meldete die neuesten Nachrichten. Yofi hatte mit dem kleinen weißen Vogel einen Vertrag: Suru durfte so viel fressen, wie er wollte. Dafür lieferte er Aktuelles aus der Savanne. Ohne ihn erfuhr der Bulle nichts mehr. Seit Langem scheuten die anderen Tiere seine Nähe, weil er fast immer schlecht gelaunt war. Wenn man ihn besuchte – früher war das oft der Fall –, brummte er grantig, weil er seine Ruhe wollte. Er freute sich heimlich darüber, dass die Anderen sich fürchteten. Und es wurmte ihn, dass er von fast allen gemieden wurde.
    »Zu spät wie immer«, raunte er, als der Kuhreiher angeflogen kam und sich auf den breiten Nashornrücken setzte.
    Hier gab es Parasiten in Hülle und Fülle. Darüber hinaus hatte der Vogel eine hervorragende Aussicht. Wortlos pickte er die Leckerbissen aus der Haut.
    Yofi genoss, wie das Zwicken auf der linken Rückenseite nachließ. Suru schmatzte. Dabei warf er lüsterne Blicke auf weitere Delikatessen, die am Boden warteten: Kröten und Schlangen.
    Das Nashorn schnaubte ungeduldig. Normalerweise konnte der Vogel es nicht abwarten, eitel und selbstgefällig die Neuigkeiten der Savanne auszubreiten.
    »Ist im Busch alles in Ordnung?«, fragte Yofi.
    Es sollte beiläufig klingen.
    »Giraffe verrenkt Hals!«, murmelte Suru kauend.
    Er liebte Schlagzeilen.
    »Ach ja?«
    »Elefanten streiten erneut!«
    Gefräßiger Schwätzer , dachte Yofi, den das alles langweilte.
    Was interessierte ihn schon, wie Giraffen und Elefanten sich den Tag vertreiben?
    »Löwenpaar trennt sich. Immer liegt er faul herum, sagt Frau Löwe.«
    »Sehr spannend«, heuchelte Yofi.
    In Wahrheit wollte er nur etwas über Antros erfahren, um vorbereitet zu sein, falls er ihm noch einmal begegnen sollte. Das konnte dauern: Obwohl die Reviere aneinandergrenzten, hatten sich die beiden Bullen seit vielen Trockenzeiten nicht mehr gesehen. Nur wenn der Wind von Süden kam, roch Yofi seinen Feind.
    Der Vogel wusste genau, wonach der Riese unter ihm lechzte. Er kostete es aus, dass
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