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Yofi oder Die Kunst des Verzeihens – Ein Nashorn lernt meditieren

Yofi oder Die Kunst des Verzeihens – Ein Nashorn lernt meditieren

Titel: Yofi oder Die Kunst des Verzeihens – Ein Nashorn lernt meditieren
Autoren: Oliver Bantle
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Steigung sein.
    Er malte sich die Begegnung bis ins Kleinste aus: Erst würde er Antros hämisch begrüßen und dann, ohne seine Reaktion abzuwarten, nach oben steigen. Der Feind hätte nur zwei Möglichkeiten: Entweder er lief hinterher und würde somit akzeptieren, Zweiter zu sein. Oder es gäbe einen neuen Kampf.
    Das wäre Yofi am liebsten.
    Dann zahle ich ihm alles heim!
    Ein wenig sorgte er sich um seine Kondition. Vergangene Nacht hatte er kaum geschlafen, weil er wütend war.
    Und morgen musste er vor der Dämmerung aufbrechen, um rechtzeitig an der Schneise zu sein.
    Antros ist sicher ausgeruht.
    Auf einmal hatte Yofi eine Idee. Er wunderte sich, dass er nicht schon früher darauf gekommen war: Er würde das Mondlicht nutzen und bereits in der Nacht losziehen. Vor der Anhöhe wollte er sich auf den Weg legen und dort bis Tagesanbruch schlafen.
*
    Mitten in der Nacht brach der wuchtige Bulle auf. Als er das hohe Gras erreichte, zuckte er zusammen. Einen Moment lang war er überzeugt, das Getrappel eines anderen Tieres gehört zu haben. Irrte er sich? Vorsichtig lief er weiter. Nachdem er das Gras durchquert hatte, ruhte er sich ein wenig aus. Da raschelte es aus einem Dickicht.
    Wer ist das? Oder höre ich bereits Gespenster?
    Langsam bewegte er sich auf die Büsche zu: nichts. Er atmete erleichtert auf. Nächtliche Begegnungen konnte er jetzt nicht brauchen.
    Nun musste er bei jedem Schritt achtgeben – immer öfter lagen Geröllbrocken herum. Plötzlich erstarrte er. Hinter einem Felsblock verschwand eine Silhouette. Ohne Zweifel: der Schatten eines Nashorns.
    Antros! Das kann nur Antros sein.
    Yofi spannte sich an und versuchte, den Geruch des Feindes zu wittern. Aber der Wind stand ungünstig.
    Das feige Aas will mich austricksen.
    Yofi war überzeugt, dass sein Kontrahent denselben Plan hatte wie er und den Rest der Nacht vor der Steigung verbringen wollte.
    Er zitterte. Heiße Wut floss durch jeden seiner Muskel. Kampfbereit schlich er am Felsen vorbei. Wenige Meter vor sich entdeckte er die Umrisse des Artgenossen. Der hatte offenbar nicht bemerkt, dass er aufgespürt worden war.
    Yofi setzte auf Überraschungsangriff und preschte los. Den ersten Schlag wollte er Antros von hinten verpassen. Bevor der reagieren könnte, wäre bereits der zweite platziert.
    Das wird ein kurzer Kampf.
    Yofi war bereits gefährlich nahe herangekommen – das Nashorn vor ihm hatte keine Chance mehr, zu fliehen. Trotzdem zeigte es keine Unruhe.
    Mitten im Galopp schreckte Yofi zusammen: Der Andere war überraschend groß.
    Antros ist viel kleiner!
    Es war zu spät, um zu bremsen oder auszuweichen. Gleich würde Yofi mit voller Wucht aufprallen. Er kniff die Augen zu.
    Der Unbekannte sprang im letzten Augenblick zur Seite.
    Yofi stolperte ins Leere. Erstaunt sah er, dass der Fremde schon alt war, ein richtiger Greis. Trotzdem bewegte er sich leicht und schnell.
    »Alter Knacker, was willst du?«
    Das wird ihn einschüchtern.
    Keine Reaktion.
    »Antworte gefälligst, wenn ich mit dir rede!«
    Wieder nichts.
    Na warte!
    Yofi wusste: Im Alter müssen Nashörner jeden Streit vermeiden, erst recht mit starken Bullen.
    Eine Scheinattacke wird reichen.
    Erneut nahm er Anlauf. Ein paar Meter vor dem Greis kam er abrupt zum Stehen. Der Alte schwenkte den Kopf im Mondlicht. Yofi sah die ausgefransten Ohren. Zornig stürmte er weiter. Die Hörner krachten und knirschten. Verhakt standen sich die beiden gegenüber.
    Yofi wollte den Alten wegschieben und drückte mit ganzer Kraft; der Rivale blieb mühelos stehen. Er war erstaunlich stark und wendig. Für einen Moment trafen sich ihre Blicke.
    Warum strahlen seine Augen so?
    Der Alte lächelte unerschrocken. Schlagartig riss er den Kopf nach unten. Yofi rutschte ab, verlor den Halt, sank auf die Knie.
    Das hat noch keiner gewagt!
    Was für eine Schmach! Yofi brodelte. Erzürnt warf er sich auf den Fremden. Kurz bevor die Leiber aufeinanderprallten, wandte sich der Greis geschmeidig ab. Yofi schmetterte gegen eine Felswand.
    »Niemand macht mich lächerlich«, brüllte er.
    »Das machst du schon selbst.«
    Jetzt reicht’s!
    Yofi scharrte mit den Hufen. Er nahm sich vor, den Unbekannten schwer zu verletzen, notfalls zu töten. Aber ehe der kampflustige Bulle etwas begriff, lag er bereits auf dem Rücken. Die Beine streckten in der Luft. Der Bauch bot sich ungeschützt dem Horndolch des Alten dar. Yofi war wie gelähmt. Sein Herz raste vor Angst. Er schloss die Augen.
    Er tötet
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