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Yofi oder Die Kunst des Verzeihens – Ein Nashorn lernt meditieren

Yofi oder Die Kunst des Verzeihens – Ein Nashorn lernt meditieren

Titel: Yofi oder Die Kunst des Verzeihens – Ein Nashorn lernt meditieren
Autoren: Oliver Bantle
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mich!
    »Du also bist Yofi.«
    Verblüfft sprang er auf.
    Lag es am Mond oder war die Haut des Alten wirklich heller als zuvor? Jetzt schien sie fast weiß.
    »Ich bin Meru«, sagte der Fremde ruhig. »Du bist stark. Aber du bist unbeherrscht. Dein Zorn macht dich blind. Offenbar eine Familienkrankheit.«
    »Woher weißt du, wie ich heiße?«
    »Das wirst du bald verstehen.«
    In Yofi blitzte ein Verdacht auf.
    Antros hat ihn geschickt, um mich aufzuhalten.
    Er blickte nach hinten. Der Nachbar musste jeden Moment um die Kurve kommen.
    Sie werden mich zu zweit angreifen. Der Schwächling traut sich also nicht mehr alleine.
    Yofi zuckte am ganzen Körper und stellte sich darauf ein, die Schlacht fortzusetzen.
    »Beruhige dich. Ich bin kein Feind«, sagte Meru.
    »Das kann jeder behaupten.«
    Erneut trafen sich ihre Blicke.
    »Gleich wird es Tag. Ich werde jetzt eine Zeit lang schweigen«, sagte der Alte.
    Er drehte sich zur aufgehenden Sonne und schloss die Augen. Yofi staunte: Der Greis erwartete offenbar keinen Angriff.
    Es wurde hell.
    »Was willst du von mir?«, fragte Yofi barsch.
    Das betagte Nashorn öffnete die Augen und lächelte.
    »Ich will dir eine Geschichte erzählen.«
    »Eine Geschichte? Du kommst her, attackierst mich, und dann willst du nur schwafeln?«
    » Du hast angegriffen, ich habe mich verteidigt«, antwortete Meru. »Die Geschichte handelt von einem Nashornjungen. Als er noch klein war, liebte er mehr als alles andere auf der Welt das Wasser. Er mochte es, im Wasserloch zu baden, und spritzte sich begeistert nass.
    Am liebsten schwamm er genüsslich in einem Fluss, und er war glücklich, wenn es regnete. Denn nur wenn er Wasser auf seiner Haut spürte, fühlte er sich wirklich lebendig.
    Eines Tages überlegte er, woher das Wasser kommt.
    ›Von den Wolken‹, erklärte seine Mutter.
    Der Kleine beobachtete die Wolken. Bald liebte er ihre zauberhaften Verwandlungen. Manchmal sahen sie sogar aus wie Nashörner.
    ›Wo werden die Wolken geboren?‹
    ›Sie steigen aus dem Meer‹, antwortete die Mutter und erzählte alles, was sie über den Ozean wusste.
    ›Er ist ein riesiger See. Er hat kein Ende, und sein Wasser schmeckt salzig.‹
    Der Junge spitzte die Ohren: So etwas Aufregendes hatte er noch nie gehört. Alles klang voller Wunder und voller Geheimnisse. Von diesem Tag an fühlte er sich immer glücklich und zufrieden, wenn er von dem großen Wasser hörte. Lange dachte er an nichts Anderes, und er redete viel davon.
    ›Ich will ans Meer‹, sagte er oft.
    ›Das ist nichts für Nashörner, bestenfalls für Elefanten‹, antwortete die Mutter jedes Mal freundlich.
    Er ließ sich nicht entmutigen.
    ›Wenn ich groß bin, wandere ich ans Meer‹, erzählte er überall.
    Die Anderen lachten ihn aus.
    ›Aber ich will ans Meer!‹, beharrte er und streckte beleidigt sein Hörnchen in die Luft.
    ›Das wollte dein Großvater auch‹, sagte die Mutter.
    Und sie fügte traurig hinzu:
    ›Niemand weiß, was aus ihm geworden ist.‹
    Die Großmutter des kleinen Nashorns hatte es bald satt, ständig vom Meer zu hören. Denn davon bekam sie schlechte Laune.
    ›Du wirst genau so ein Herumtreiber wie dein Großvater‹, schimpfte sie einmal.
    Seit diesem Tag wagte der Junge nicht mehr, von dem großen, salzigen See zu sprechen. Nach einiger Zeit fragte er die Anderen heimlich über den Großvater aus – so, dass die Großmutter nichts davon merkte. Der Kleine brachte fast nichts in Erfahrung. Als er etwas größer war, hatte er einen Traum, der sich in vielen Nächten wiederholte: Sein Großvater holte ihn ab und wanderte mit ihm ans Meer. Jedes Mal, wenn er davon träumte, wachte er glücklich auf. Wenn er dann merkte, dass es nur ein Traum gewesen war, wurde er traurig.«
    Yofi hatte gebannt zugehört.
    »Woher weißt du das?«, knurrte er misstrauisch.
    Er kannte die Geschichte gut: Er war der kleine Junge, der früher große Sehnsucht nach dem Meer gehabt hatte.
    Sein Herz hatte damals vor Freude gepocht, wenn er irgendetwas darüber erfahren hatte. Manchmal war er sicher, dass die Luft nach Salz roch und die Herde ganz in der Nähe des Ozeans sein musste. Yofi war es auch, der sich nach dem Großvater erkundigt hatte. Doch keiner hatte sich getraut, dessen Namen auszusprechen oder von ihm zu erzählen. Großmutter Mira hatte es verboten. Später hatte Yofi oft vom Großvater geträumt. Aber der war nie gekommen.
    »Woher weißt du das alles?«, fragte Yofi noch einmal.
    Dann verstand er.
    Das
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