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Bosmans/Deleu 01 -Nackte Seelen

Bosmans/Deleu 01 -Nackte Seelen

Titel: Bosmans/Deleu 01 -Nackte Seelen
Autoren: Luc Deflo
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    1
    D irk Deleu begrüßte Jos Bosmans mit einem kräftigen Händedruck, hängte dessen tropfnassen Mantel an die Garderobe, lud ihn ein, sich zu setzen, und bot ihm ein Glas Bier an.
    Während Deleu in der Küche verschwand, runzelte Bosmans die Stirn und starrte gedankenverloren auf die sanften Wellen des Semois. Nicht einmal der von Windböen gepeitschte starke Regen vermochte den spiegelglatten Riesen aus der Ruhe zu bringen.
    Bosmans blickte nach oben. Bis zum Platzen gefüllte Wolken hingen so tief, dass sie die ruhige Wasseroberfläche zu berühren schienen. Trotz der heftigen Windstöße regten sie sich nicht. Ein Kräftemessen.
    Er schloss die Augen, wischte sich mit dem Handrücken die Regentropfen von den dichten Augenbrauen und bohrte mit dem kleinen Finger in seinem linken Ohr. Der Wassertropfen, der sein Trommelfell überspannte, zerplatzte. Kein Sperrfeuer mehr. Eiskalte Stille. Die Jäger waren abgezogen.
    Wann öffnen die Wolken ihre Schleusen? Wann gerät der Fluss aus dem Gleichgewicht? Wann verliert er seine Würde und verwandelt sich in einen rasenden Wassergott, der keinen Unterschied zwischen Gut und Böse kennt? Wann und vor allem: warum?
    Bosmans blickte hinauf zum Himmel. Eine formlose Masse war dabei, das Dach zu verschlingen; die Fernsehantenne bohrte sich ihr in den aschgrauen Unterleib. Er hielt den Atem an.
    »Trinkst du etwa immer noch im Dienst?«, ertönte es vorwurfsvoll aus der Küche.
    »Ja, aber keine Whiskey-Cola mehr, Dirk. Die Zeiten sind vorbei.«
    »Die Zeit, mein Gott, wo ist sie geblieben. Weißt du noch, damals im ›Engel‹?«, fragte Deleu, stellte eine kleine Flasche Jupiler-Bier vor Bosmans auf den Wohnzimmertisch und setzte sich ihm gegenüber. »Nach dem zehnten Whiskey ist dieser Rechtsradikale vom Vlaams Blok einfach wie ein Stein vom Barhocker gekippt«, fügte er grinsend hinzu.
    »Ja, und die ganze Kneipe rief: Sieg heil!«
    »Davon hat keiner der Kollegen je etwas erfahren.«
    »Stimmt«, seufzte Bosmans. »Das waren noch Zeiten. Wir haben einiges zusammen mitgemacht.«
    Die beiden alten Freunde stießen klirrend an und tranken von ihrem Bier. Sie betrachteten sich gegenseitig schweigend und voller Wertschätzung. Jos Bosmans wandte als Erster den Blick ab und starrte hinaus auf den Wasserfall, der vor den Verandafenstern niederrauschte. Glich er mehr dem Strom, der Wolke oder dem bohrenden Pfriem?
    Deleu beobachtete seinen Freund.
    Er hatte sich verändert. Der energiegeladene Fünfziger, ein muskulöser ehemaliger Ringer, war mager geworden, mager und gebeugt. Die Hose schlackerte ihm um die Beine und seine eingefallenen Wangen erinnerten an einen Leprakranken.
    Deleu hatte die Zeitungen gelesen. Er wusste, weshalb sein alter Kollege gekommen war.
    »Was weißt du über den Fall?«
    »Das, was in den Zeitungen stand und was du mir am Telefon erzählt hast«, antwortete Dirk. »Es soll ein Raubmord gewesen sein.«
    »Nein, es war kein Raubmord. Es war ein Gemetzel, eine rituelle Schlachtung. Die ganze Familie wurde bestialisch ermordet. Wir haben die Presse absichtlich falsch informiert, um Panik in der Bevölkerung zu vermeiden.«
    Bosmans legte eine Hand auf den Mund, fasste sich an die Nase, warf einen gehetzten Blick über die Schulter und murmelte: »So etwas habe ich noch nie gesehen, Dirk. Das ist eine Bestie … In Mechelen treibt eine Bestie ihr Unwesen. Vielleicht auch zwei. Wir vermuten ein Mann und eine Frau.«
    »Warum?«
    »Die Stichwunden stammen offenbar von verschiedenen Personen und wurden den Opfern zu unterschiedlichen Zeitpunkten zugefügt. Ich darf gar nicht daran denken, dass sie wirklich zu zweit sind.«
    Bosmans schüttelte sein massiges graues Haupt, ballte die Fäuste und seufzte. Ein verzweifeltes Seufzen. Deleu fragte sich, ob das zu seiner Taktik gehörte.
    »Wer leitet die Ermittlungen?«
    »Verstappen.«
    »Ist der jetzt schon bei der Kripo?«, fragte Deleu gereizt. Bosmans nickte gelassen.
    »Er hat es inzwischen zum zukünftigen Schwiegersohn von Staatsanwalt Verspaille gebracht.«
    »Schritt für Schritt die Leiter rauf«, bemerkte Deleu trocken, zündete eine Belga an, inhalierte tief und blies eine Rauchwolke hinauf zur Decke.
    »Diese Krebsstengel bringen dich noch mal ins Grab.«
    »Ja, Papa.«
    Als sich ihre Blicke trafen, zupfte Bosmans unsicher an seiner geblümten Krawatte. Ein drückendes Schweigen trat ein.
    »Wie weit seid ihr denn mit euren Ermittlungen?«, fragte Deleu schließlich.
    »Wir haben noch
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