Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aibon-Teufel

Aibon-Teufel

Titel: Aibon-Teufel
Autoren: Jason Dark
Vom Netzwerk:
bleicher und mit braunen Altersflecken übersät.
    Die Liebe war noch immer da. Sie würde auch bis über den Tod hinaus halten. Es hatte Harold Holbrook nie etwas ausgemacht, dass seine Frau zehn Jahre älter war. Sie hatten sich gefunden und viele Jahre miteinander verbracht.
    »Ja«, flüsterte Liane mit schon ersterbender Stimme. »Ja, das tut mir gut.« Sie lachte leise. »Beinahe fühle ich mich wieder jung. Wie damals, als wir uns kennen lernten. Weißt du noch?«
    »Ja, auf dem Fest. Du warst so schön«, sagte er mit rauer Stimme.
    »Das ist vorbei, mein Liebling.«
    »Nein, nein, sag das nicht. Für mich bist du noch immer schön. Wirklich, ich lüge nicht.«
    »Bestimmt nicht?«
    »Ich schwöre es.«
    »Das ist gut.« Liane schaute ihrem Mann in die Augen. »Und du denkst an dein Versprechen?«
    »Ich habe es nicht vergessen.«
    »Danke, Liebster, danke.« Sie hielt noch immer die Hand fest, und dabei lächelte sie.
    Harold senkte den Kopf. Er wollte hart sein. Doch das gelang ihm nicht. Tränen rannen über sein Gesicht. Er musste schlucken und schluchzen, aber Liane reagierte nicht.
    »Liane, mein Mädchen, meine Kleine. He, was ist denn? Warum sagst du nichts?«
    Sie schwieg, aber sie lächelte. Das stellte Harold fest, als er in ihr Gesicht schaute. Nur waren ihre Augen so starr. Doch das Lächeln war geblieben. Es hatte sie in den Tod begleitet...
    ***
    Harold Holbrook wusste nicht, wie lange er am Totenbett seiner Frau gesessen hatte. Das Zeitgefühl war ihm verloren gegangen. Er konnte über das Bett hinweg bis zum Fenster schauen, hinter dem der Tag lag und sich allmählich dem Ende zuneigte.
    Auch er musste sterben, ebenso wie alle Menschen. Es war der ewige Kreislauf, und daran konnte kein Mensch etwas ändern.
    Die Schatten der Dämmerung krochen durch das Fenster und legten sich auf das Totenbett. Sie hüllten die Frau ein und zogen das Lächeln aus dem starren Gesicht.
    Holbrook seufzte. Er stand auf. Seine Muskeln schmerzten. Die Augen waren gerötet. Von oben herab blickte er der Toten ins Gesicht. Dann schloss er ihr die Augen.
    Er drehte sich mit schweren Bewegungen um. Langsam ging er auf die Tür zu. Sein Rücken war gebeugt. Er dachte daran, welches Versprechen er seiner Liane gegeben hatte. Er würde sie begraben und dann – ja dann musste er etwas tun, das nur ihn etwas anging. Kein Fremder würde es begreifen, aber die Menschen, die in der Nähe lebten, schon. Sie hatten dafür Verständnis. Sie nahmen es schweigend hin und würden niemals Fragen stellen.
    Er ging in die Küche und stellte sich dort ans Fenster. Der Himmel war von Wolken bedeckt. Er verbreitete die Düsternis des Untergangs, aber er würde am nächsten Tag wieder hell werden und die Dunkelheit vertreiben.
    Das passierte mit Liane nicht. Für sie würde es dunkel bleiben. Sie würde in den Sarg gelegt und dann hinabgesenkt werden in die feuchte Erde des Friedhofs.
    Aber eine Nacht sollte sie noch in ihrem Bett bleiben. Er würde die Totenwache halten. So gehörte es sich. So sah es die Tradition vor.
    Er ging ins Schlafzimmer und wühlte in der breiten Schublade eines Schranks herum.
    Unter der duftenden Bettwäsche fand er genau das, was er gesucht hatte. Es war die dicke und helle Taufkerze, die Liane ihr gesamtes Leben aufbewahrt hatte.
    Als er den Docht anzündete, zitterten seine Finger. Mit der brennenden Kerze ging er zurück in das Totenzimmer. Er stellte sie auf die Innenseite der Fensterbank.
    Noch mal ging er zurück in die Küche. Aus dem Kühlschrank holte er sich eine Flasche Wasser. Ob er schlafen würde, konnte er nicht sagen, aber er würde in der Nacht sicherlich Durst bekommen, und da war es gut, wenn er etwas trinken konnte.
    So blieb er sitzen. Eingefangen von Gedanken, die sich mit der Vergangenheit beschäftigten, doch er dachte auch an die Zukunft und an das, was er seiner Frau in den letzten Minuten ihres Lebens versprochen hatte...
    ***
    Der alte Friedhof lag außerhalb der Ortschaft, direkt am Beginn eines Hanges, auf dessen Kuppe einige kahle Bäume wuchsen. Auf dem Boden lagen Schneereste wie schmutzig gewordene weiße Decken. Im Geäst der Bäume hockten schwarze Vögel, die gefiederten Todesboten glichen, als wollten sie zwischen dem Diesseits und dem Jenseits verkehren und dabei Botschaften austauschen.
    Es gab keine Bäume und auch keine Büsche auf dem Friedhof. Nichts hielt den Wind auf, der über die Gräber mit den alten Grabsteinen hinwegwehte.
    Platz genug für die Toten gab es.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher