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Erbe des Drachenblutes (German Edition)

Erbe des Drachenblutes (German Edition)

Titel: Erbe des Drachenblutes (German Edition)
Autoren: Monika Thamm
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Wolkenfetzen jagten über den Himmel, türmten sich zu formlosen Gebilden auf, nur um wieder auseinandergerissen und neu vereint zu werden. In der Ferne flackerten vielfach verästelte Blitze. Sie tauchten Hügel mit unbestellten Äckern und kleineren Baumgruppen für Sekundenbruchteile in grelles Licht. Donnergrollen zog heran und verlor sich im nächsten Moment im Rauschen eines heftigen Platzregens. Im aufkommenden Abendgewitter wirkte das verfallene Bauernhaus seltsam deplatziert in der einsamen Landschaft. Hier hatte schon lange niemand mehr Hand angelegt, um eine Außenwand auszubessern, zerbrochene Dachschindeln zu ersetzen oder einen wackelnden Fensterladen zu richten. Nichts wies darauf hin, dass das Gebäude noch bewohnt war.
    Ein weiterer Blitz zeichnete sein zackiges Bild am Horizont, gefolgt von einem tiefen Grollen. Für einen kurzen Augenblick blendete das Licht den Jungen, der hinter einem der Fenster im Erdgeschoss stand. Er zog eingeschüchtert den Kopf zurück und drehte sich um. Hinter ihm stand eine schmale Frau mit strähnigem Haar und eingefallenen Wangen, die sich mühselig ein Lächeln abrang.
    »Es tut mir leid, mein Sohn, doch ich befürchte, wir haben heute wieder nur trockenes Brot zum Abendessen.«
    Verlegen fuhr sie sich mit den Händen über die alte Schürze, die, pedantisch ordentlich gebunden, das fleckige Kleid bedeckte. Der Blick des Jungen fiel ungewollt auf ihre schwieligen und aufgesprungenen Hände. Wann hatte seine Mutter aufgehört, schön zu sein? Er schluckte. »Mama, das ist nicht schlimm. Ich bin noch klein und brauche nicht viel.«
    Traurig blickte sie ihn an. Ja, klein war er noch für seine zwölf Lebensjahre, aber genau deshalb – das wusste sie – hätte sie ihm besseres Essen besorgen müssen. Von Tag zu Tag war es schwieriger geworden, ausreichend Essbares aufzutreiben. Was hatte sie nicht alles getan, das ihr früher undenkbar gewesen wäre, nur damit sie und ihr Sohn am nächsten Tag nicht hungern mussten? Eilig wischte sie ihre trübsinnigen Gedanken fort und zwang sich ein weiteres Lächeln ab. Ihr einziger Sohn sollte nicht sehen, wie elend sie sich fühlte.
    Sie knickste tief vor ihm, neigte den Kopf und drehte sich schnell im Kreis. Mit einer tänzelnden Bewegung ergriff sie zwei Holzteller und ließ sie fast geräuschlos auf den alten Tisch gleiten. Sie summte und nahm ein schartiges Messer vom Regal. »Eure Hoheit, wie viele Scheiben hättet Ihr gerne vom heutigen Schweinebraten?«, fragte sie mit verschmitztem Unterton. Der Junge grinste. Er kannte und liebte die kleinen Spiele seiner Mutter, mit denen sie versuchte, ihn das Leid so weit wie möglich vergessen zu lassen. Gerade dachte er über eine würdige Antwort nach, da prallten Faustschläge gegen die klapprige Haustür. Erschrocken fuhr er herum. »Mama«, hauchte er, aber sie bedeutete ihm mit der Hand, still zu sein. Schon barst die Tür unter den heftigen Schlägen. »Mama!«, brüllte er voller Panik, als mehrere Soldaten hereinstürmten. Seine Mutter keuchte laut auf. »Was wollt Ihr hier? Was haben wir Euch getan, dass Ihr mit Gewalt in unser Haus einbrecht?«
    »Seid Ihr Marija Zinnerbaum?«, fragte einer der Männer. Hinter ihm zuckte erneut ein Blitz am Himmelszelt. Marija und ihr Sohn zählten die Umrisse von drei Soldaten, die so schwer gerüstet waren, dass man nur die düsteren Augen in den Sehschlitzen ihrer Eisenhelme erkannte.
    »Ja …« Sie schluckte schwer. »Das bin ich. Was ist geschehen?« Langsam schob sie sich schützend vor ihren Sohn und drückte ihn nach hinten. Zwei der Soldaten traten heran und packten sie grob an den Armen. Sie schrie vor Angst und Schmerzen, doch die Männer schien das nicht zu stören. Der Junge brüllte und begann, einem von ihnen gegen die gepanzerte Brust zu schlagen und gegen die Beinschienen zu treten, aber auch das beeindruckte ihn nicht. Marija Zinnerbaum wurde aus dem Haus gezerrt, hinein in den heftigen Regen.
    »Warum tut Ihr das? Ich erflehe Euer Mitleid, ich kann doch meinen Jungen nicht alleine lassen! Beweist Mitgefühl und lasst mich hier! Lasst mich bei meinem Sohn!«
    »Mama!« Der Junge drückte sich an den Soldaten vorbei, um seiner Mutter ins Freie zu folgen. Da wurde er hart am Kragen gepackt. »Na, wen haben wir denn da?« Der Junge musste sich zwingen, die Augen von seiner flehenden Mutter abzuwenden. Regen prasselte in sein Gesicht. Schräg hinter ihm stand ein großgewachsener Mann, dessen weit geschnittener Umhang kaum die
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