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Saat der Lüge

Saat der Lüge

Titel: Saat der Lüge
Autoren: B Jones
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Im Einkaufszentrum
    G laubst du, dass Sünden, die man im vorherigen Leben begangen hat, einen bis ins nächste Leben verfolgen?«, fragte Cora. Wir hatten uns in die Tiefen der Stofftierabteilung verkrochen, wo uns die starren, glasigen Augen Hunderter stummer, pelziger Zeugen umgaben. Runde glänzende Augen, Knopfaugen, gestickte Augen, die uns erbarmungslos anstarrten. Auch ich starrte Cora an, während draußen weicher, nasser Schnee vom Himmel fiel.
    Nicht zum ersten Mal waren ihre in letzter Zeit so locker sitzenden Tränen Vorboten einer drohenden Peinlichkeit. Sie würde eine Szene machen.
    Ich vergewisserte mich mit einem Schulterblick, dass uns niemand gehört hatte. Dabei ging es mir weniger um ihre Frage als um das Zittern in ihrer stockenden Stimme, die sich hier, inmitten argloser Kinder mit glänzenden Augen, hysterisch zu überschlagen drohte.
    Ich wusste nicht genau, wie ich ihre Frage beantworten sollte. Verlangte sie überhaupt eine Antwort von mir? Coras Augen waren fast ebenso glasig und starr wie die der Menagerie um uns herum. Sie schien aufmerksam zu lauschen und auf irgendwelche weisen Worte aus meinem Mund zu warten. Schließlich wusste ich doch auch sonst immer eine Antwort.
    Schon damals hatte ich den Verdacht, dass sie von irgendetwas zu viel nahm. Medikamente, meine ich. Verschreibungspflichtige vermutlich, die zu Gebrauch und Missbrauch verführten. Vielleicht lag es aber auch nur am Wein und an allem anderen, das sie an diesem Nachmittag in sich hineingeschüttet hatte. Ich hatte Angst vor ihrer Reaktion, wenn ich Ja sagte, denn es schien mir zu diesem Zeitpunkt immer wahrscheinlicher zu sein, dass sie recht hatte: Vielleicht bezahlten wir tatsächlich ständig für unsere Sünden – wie sonst ließ sich das vergangene Jahr erklären? Wie konnten sich fünf Menschen nur so fest in ein Netz aus Abhängigkeit verstricken, ein Netz, dessen Verbindungsschnüre klebrig waren von unbestimmter Sehnsucht und Reue?
    Was würde sie tun, wenn ich sagte: »Natürlich bezahlen wir für unsere Sünden. Irgendwann holen sie uns ein, wenn nicht in diesem Leben, dann im nächsten.«
    Ob sie wie am Spieß schreien und zur Balustrade laufen würde, die Arme voller Plüschtiere, die sie nie gewollt hatte und bei denen sie dennoch Trost suchte – einen verzweifelten, kindischen, kläglichen Trost –, um sich von der Galerie aus Glas und Chrom ins Vergessen zu stürzen?
    Das Letzte, was ich von meiner Freundin sehen würde, würde ihr Körper sein, der, in einen viel zu engen Regenmantel gezwängt, kopfüber auf die unter uns befindlichen Besucher des Einkaufszentrums zusegelte, begleitet von einem Schauer aus Nostalgie-Teddybären.
    Ihr gestreifter Schal würde hinter ihr herwehen, eine flatternde Ankündigung des bevorstehenden Aufpralls, und ihr Polyestermantel würde sich aufblähen wie ein grüner, durchscheinender, viel zu dürftiger Fallschirm.
    Mit einem scheußlich dumpfen Schlag würde sie schließlich auf dem Boden aufkommen. Ihr Kopf unter der blauen Bommelmütze würde wie eine von klebrigen Supermarktfingern fallengelassene Mandarine aufplatzen und einen nassen Fleck auf den Bodenfliesen hinterlassen, und ein kleiner Sprühregen aus Blut würde auf die Samstagsmäntel und fest umklammerten Handtaschen der Konsumenten niedergehen.
    Vor Schock gelähmt würde ich wie in Zeitlupe »Oh Cora, neeeiiin!« kreischen, würde ihr eine Sekunde zu spät zur Balustrade nachhechten und mit den Fingern nur noch den losen Faden eines Saumes erwischen, oder vielleicht eine Haarsträhne? Hinterher würden genügend Menschen bezeugen können, dass sie selbst das Unglück herbeigeführt hatte. Dass sie es mit offenen Armen empfangen hatte – das Ende. Völlig ausgeschlossen, dass ich etwas damit zu tun gehabt hatte.
    Ich würde mich in die Arme erschütterter Passanten sinken lassen, die sich die Worte des Entsetzens, die ihnen auf der Zunge lagen, aus Mitgefühl verkneifen würden. Damit würden sie später bei einer Tasse Tee im Familienkreis ihr ansonsten so eintöniges, vorhersehbares Leben würzen können.
    Aus diesem Grund hätte ich einen skalpellscharfen, einschneidenden Moment lang beinahe wirklich Ja gesagt. »Ja Cora, wir verdienen das Leben, das wir führen.«
    Ich war so weit, es zu wollen. Ich wollte, dass alles vorbei war. Es hätte bedeutet, dass ich den Plan nicht würde durchführen müssen. Meinen Plan. Schwach und uninspiriert und einfallslos wie er war.
    Die Erkenntnis fuhr mir als
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