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Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss

Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss

Titel: Ein feiner dunkler Riss - Lansdale, J: Ein feiner dunkler Riss
Autoren: Joe R. Lansdale
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    Mein Name ist Stanley Mitchel junior, und ich schreibe hier auf, woran ich mich erinnere.
    Die ganze Geschichte hat sich in einer Stadt namens Dewmont zugetragen. Es ist eine wahre Geschichte, die sich innerhalb einer kurzen Zeitspanne abspielte, und ich habe sie selbst erlebt.
    Dewmont wurde nach einem der ersten Siedler benannt, der Hamm Dewmont hieß. Viel mehr weiß man nicht von ihm. Er ist hier aufgetaucht, hat dem Ort seinen Namen gegeben und ist dann spurlos verschwunden.
    In den ersten Jahren war Dewmont eine trostlose Ansammlung von Holzhütten, die sich am Ufer des Sabine River im tiefsten Herzen von Texas festgesetzt hatten – eine Gegend voll weißem Sand und rotem Lehm, gewaltigen Kiefern und schlangenverseuchten Sümpfen.
    In der Bibliothek von Dewmont finden sich verblichene Fotografien von ein paar einsamen Pionierhütten am Flussufer, durch die Linse einer primitiven Kamera betrachtet. Kaum zu glauben, dass so ein Anfang zu irgendetwas führen würde, außer vielleicht einem heftigen Regenfall und einer Rutschpartie in den Fluss. Doch im Laufe der Jahre bis ins zwanzigste Jahrhundert hinein wurde aus diesen Bretterbuden nach und nach eine bescheidene Ortschaft, während die großen Bäume gefällt und zu Bauholz verarbeitet wurden.
    Später entwickelte sich der Ort zu einer kleinen Stadt von ungefähr einhunderttausend Einwohnern, doch die Ereignisse, um die es hier geht, trugen sich früher zu, und zwar gegen Ende der 1950er, als meine Familie, die Mitchels, dorthin zog.
    Bevor wir nach Dewmont kamen, war mein Daddy Mechaniker in einem Kaff mit dreihundert Seelen gewesen, das den passenden Namen »No Enterprise« trug. Eines Tages kam er nach Hause und hatte genug davon, unter Autos zu kriechen und auf kaltem Beton und quietschenden Rollbrettern zu liegen. Was er dann sagte, überraschte uns alle. Einschließlich Mom.
    Daddy liebte Filme, und irgendwo hatte er mitbekommen, dass das Autokino von Dewmont zum Verkauf stand. Der ursprüngliche Besitzer war kurz nach Eröffnung des Kinos an einem Schlaganfall gestorben. Seine Familie wollte jetzt unbedingt in den Westen ziehen, da ihnen die Schulden an den Hacken klebten wie Federn an Teer.
    Also hob Daddy unsere gesamten Ersparnisse ab, leistete damit eine Anzahlung und beförderte meine Mutter, die er immer Gal nannte, mich, meine ältere Schwester Caldonia und meinen Hund Nub hinüber nach Dewmont.
    Dewmont bestand hauptsächlich aus einer langen Reihe von Backsteinhäusern beiderseits der Main Street, darunter auch unsere Konkurrenz in Gestalt des Palace Theater , einem Kinosaal.
    Ich weiß noch, dass der Umzug an einem hellen, heißen Tag stattfand. Der blaue Himmel über uns war mit kleinen Wölkchen übersät, und man konnte die Main Street entlangschauen, sah Autos am Bordstein parken, Menschen umherlaufen, und weiter hinten hohe Bäume.
    Das Dew Drop Drive-in , unser Autokino mit Imbiss, lag am Rande der Stadt, nicht weit von einer stinkvornehmen Wohngegend.
    Mit Sicherheit rümpften die Erwachsenen dort die Nase über das Autokino, denn das Publikum bestand aus einfachen Leuten – und aus ihren eigenen Kindern, die für einen Dollar pro Wagenladung zu uns kamen.
    Das Dew Drop gehörte zu den Autokinos, bei denen die Projektionsfläche aus einem Wohnhaus bestand. Solche Gebäude gab es nicht oft, denn meistens diente lediglich eine Platte aus Holz oder Metall, die in einem großen Rahmen befestigt war, als Leinwand. Doch die Erbauer des Dew Drop waren fortschrittlich gewesen und hatten ihr Bestes getan.
    Daher war die Leinwand des Dew Drop tatsächlich ein massives Gebäude, das von außen wie ein Fort aus einem Western aussehen sollte. Quer darübergemalt war ein Wandbild mit üppig gefiederten Indianern zu Pferde, die von einer Kavallerie in knallblauer Uniform und leuchtend weißen Hüten verfolgt wurden. Schneeweiße Rauchwölkchen machten deutlich, dass die Soldaten mit ihren Pistolen und Gewehren schossen, und ein Indianer war offensichtlich getroffen – er fiel gerade vom Pferd und würde nie wieder einen Weißen skalpieren.
    Über allem hing unerklärlicherweise, an einem Metallrahmen befestigt, ein riesiger, ozeanblauer Tautropfen, der aussah, als würde er jeden Moment herabfallen, auf dem Dach zerplatzen und die ganze Welt überfluten.
    Auf der anderen Seite, den Autos zugewandt, war die Mauer weiß und diente als Leinwand. Darüber war die Rückseite des Tautropfens grün gestrichen, und zwar nicht in einem hübschen
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