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Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)

Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)

Titel: Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)
Autoren: Claudia Schreiber
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zog, die Opa von Martinique geschickt hatte. Auf der schrieb er, dass diese herrliche
Insel, auf der sie nun schon seit Längerem seien, genau genommen eigentlich zwei Inseln seien, eine ganz junge und eine uralte, was ja ausgezeichnet zu Ninotschka und ihm passen würde,
drum hätten sie dort geheiratet.
    Nette drehte und wendete die Karte.
    »Was bedeutet das denn?«, fragte sie verstört.
    »Du hast jetzt eine Stiefmutter, die aussieht wie Aschenputtel.«
    Annie selbst musste nachdenken. Ninotschka war nun wahrhaftig ihre Oma – auch wenn sie so gar nicht ins Bild passte.
    »Was ist, wenn die schwanger ist?«, fragte Nette weiter.
    »Steht da was davon?«
    »Nix, aber kann doch sein.«
    »Dann bekommst du ein Brüderchen oder eine kleine Schwester, das wäre, glaub ich, meine Tante oder Onkel, je nach dem.«
    Nette legte die Postkarte auf den Tisch, blätterte wie betäubt einige Briefumschläge durch, die ihr in letzter Zeit geschickt worden waren, und flüsterte: »Irgendwas
muss ich machen.« Hilfe suchend schaute sie sich um. »Irgendwas, aber was?«
    »Mach deine Post auf.«
    Nette schüttelte den Kopf.
    »Du wolltest doch was mit Brüssel machen?«
    Sie winkte müde ab. Annie betrachtete ihre Mutter, wie sie da im Bademantel am Küchentisch saß, die Haare kreuz und quer. Diese Haltung kam ihr bekannt vor: »Heute ist
wieder so ein Scheißtag, ne?«
    »Genau!« Ihre Mutter blickte auf. »Woher weißt du das?«
    Die Verdrossenheit musste eine neue Seuche unter den Erwachsenen geworden sein, Annie war überzeugt davon, dass Nette schon längst wieder auf Reisen wäre, wenn das Jugendamt sie
nicht zum Erziehen und Versorgen ihrer Tochter zwingen würde. Seit sie selbst den Weltatlas studierte, verstand sie dieses Fernweh etwas besser. Unterwegs zu sein gab ihrer Mutter das
Gefühl, dass sich wenigstens irgendetwas in ihrem Leben bewegte, und wenn es die Räder des Busses waren, in dem sie saß.
    »Ich bin fertig mit der Plantage, alle Bäume geschnitten.«
    Nette starrte sie an: »Ungeheuerlich, was du geschafft hast, die guten Noten und nun auch noch die Bäume!«
    Zum ersten Mal war Nette eine von Stolz erfüllte Seele: »Und dieser Otto, der lebt, mein Gott!«
    Sie wandte sich Annie zu: »Ich bin eine … grauenhaft also, das weiß ich ja, aber …«, sie holte tief Luft und hielt sie ein. »Ich hab nichts sonst im Leben
hingekriegt, außer …« Sie atmete aus, weinte los und konnte nicht weiterreden. Annie setzte sich neben sie und legte ihr kurz den Arm um die Schulter.

DRESDEN
    D er Bäcker besaß einen alten blau-weißen VW-Bus mit geteilten Scheiben vorn, noch von seinem Vater Ende der fünfziger Jahre
gekauft. Nie und nimmer gäbe er den in fremde Hände, hatte er gesagt. Die Reisegruppe benötigte jedoch einen ausreichend großen Wagen für eine Fahrt nach Dresden, und aus
diesem Grund waren Annie und der Apotheker in der Bäckerei vorstellig geworden. Der Mann blieb stur, niemand werde seinen Oldtimer anrühren, geschweige denn fahren. Seine Frau traktierte
ihn: »Lass ihnen doch den Bus, dann kommt der mal rum, der hat ja im Leben nichts gesehen außer Mehl.«
    »Aber in den Osten?«
    »Das Gebiet gehört inzwischen zu uns! Jahrzehnte schon, gewöhn dich dran.«
    »Nie und nimmer!«
    Annie tat die Frau so leid. Wenn die wüsste, was ihr Bäcker für rote Schuhe hatte. Drum sagte sie: »Sie haben ja auch nichts weiter im Leben gesehen als Mehl.«
    Die Bäckerin vermutete es: »Das heißt?«
    »Lassen Sie Ihren Mann mal alleine backen. Sie steuern den Bus, dann bleibt er in der Familie.«
    Wie vom Blitz gerührt starrte sie erst das Mädchen und daraufhin den Apotheker an: »Ich darf mit?«, fragte sie.
    »Du hast wohl ’n Schuss!«, schimpfte der Bäcker.
    »Klar«, antwortete der Apotheker freundlich und berechnete betrübt seine Kosten. Er wollte die Geschichte zu einem guten Ende bringen, aber das würde ihn teuer zu stehen
kommen.
    Die Bäckerin band sofort ihre Schürze auf und ließ sie einfach zu Boden fallen. »Das werde ich dir mein Lebtag nicht vergessen, Karl, mein Lebtag nicht.«
    Sie brauchte nur wenige Minuten, um ihre Reisetasche zu packen, zusätzlich raffte sie Proviant für alle zusammen und plünderte zu guter Letzt die Ladenkasse. Der Bäcker
fuchtelte fassungslos mit seinen Mehlhänden herum.
    »Wozu brauchst du denn das ganze Geld?«, jammerte er.
    Die Bäckerin fragte schnippisch: »Hab ich was anzuziehen für Dresden?«
    Nun fuhr Annie giftig dazwischen:
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