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Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)

Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)

Titel: Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)
Autoren: Claudia Schreiber
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waren sämtliche Mauern eingebrochen, in den folgenden Jahren in der Ruine Sträucher und später gar Bäume gewachsen. Jedoch hatte
man es sorgsam wiederaufgebaut: Das Treppenhaus elegant mit kleinen Pfeilern unter dem breiten Handlauf des Geländers. Die Decken wurden von großzügigen viereckigen Säulen
gestützt, die am oberen Rand Verzierungen hatten, Blätter und Schneckenmuster. Nirgendwo hing ein Bild, keine grellen Farben störten, nur der Stein sollte wirken. Annie kam es so
vor, als habe man hier im Treppenhaus das Gefühl reproduziert, dass sie in ihrer Plantage hatte, wenn sie weit schauen konnte und genug Luft bekam. Sie schritt hier die Stufen langsamer hoch
als sonst, ohne darüber nachzudenken, als sei sogar genügend Zeit mit eingebaut – auf diese wunderbare Art, dachte sie, müsste man Schulen gestalten.
    Der Stein der Stufen war dunkler als die Wände, das Geländer mit seinen kleinen Säulen und die Decke schienen heller. Hoch oben hingen riesige Kronleuchter, rund und offen wie
eine ordentlich geschnittene Sauerkirschbaumkrone, so kam Annie das vor, nur auf dem Kopf. Eisen oder Stein rankte wie Blätter, das Gold wirkte nicht protzig, sondern beinahe bescheiden.
    Im Treppenhaus standen rote Sessel und Tische in Nischen, dort gönnten sie sich eine Pause mit Säften und Nüssen, Galle gesellte sich zu ihnen. In anderen Nischen saßen
weitere Gäste des Hotels, niemand sprach hier laut, zugleich dämpften die Steine die Geräusche, statt zu hallen, wie Beton das tat.
    Und dann tauchte Paula ausgerechnet hier zögernd auf. Sie schaute die verblüffte Annie mit ihren hellblauen Augen still und verstört an, ihr Mund schmollte, als
habe man ihr etwas angetan. Ihr Gesicht war weich und hell, der Blick wirkte kühl, doch wer sie kannte, sah nichts weiter darin, weder Glück noch Hass, leblos wirkte sie.
    Was tat sie ausgerechnet hier? Annie schaute zum Apotheker und begriff erst jetzt, dass er sie kannte. Er musste auch Paulas Wunden versorgt haben. Ihr wurde mulmig. Er hatte das alles
arrangiert! Deshalb waren sie hier, dafür bezahlte er das teure Hotel. Er hatte Paula viel lieber als sie gehabt, er hatte sich um die Fremde gekümmert, während sie im Heim
vermoderte, alleingelassen von allen, Freunden und Familie. Großer Gott, war sie krank vor Eifersucht, regelrecht übel wurde ihr.
    Schlank war Paula geworden, und grauenhaft hübsch, sie sah vollkommen anders aus als vor Monaten bei ihr im Haus, nicht mehr dick und schmutzig, sondern geradezu prinzessinnengleich. Sie
selbst war nicht zart, hatte keine blauen Augen und orangene Haare, ihr Mund schmollte auch nicht so putzig, er brüllte zumeist. Noch nie hatte Annie sich so grob und zerlumpt gefühlt wie
in diesem Moment, obwohl sie Gast in einem Palais war. Paula passte hier prima hinein, anders als sie, sie war ein Bauernfratz.
    »Danke.« Das sagte Paula jetzt an sie gerichtet. Der Apotheker wird es verlangt haben, dachte Annie.
    Galle hatte lange starren müssen, bis ihm klar wurde, wer da so verändert vor ihnen stand, dann stürzte er auf Paula zu: »Mein Schuh, mein Schuh!«, rief er, nahm sie
in den Arm, drückte, küsste und streichelte sie. Und einzig in dessen Armen verlor sie ihre kühle Haltung, sie lehnte sich an seine Schulter und ließ wahrhaftig ein paar
Tränen fließen.
    Jetzt fielen Annie alle Schuppen von den Augen: Auch Galle hatte sich um die Fremde gekümmert. Die Enttäuschung brannte ihr regelrecht im Bauch.
    »Also, danke«, wiederholte Paula, die sich aus Galles Umarmung gelöst hatte und nun mit ihren schlaksigen Armen fuchtelte. »Für die Bohnen, und alles.«
    Die Bohnen, ausgerechnet!
    »Ich wollte das nicht …«
    »Das?!«, flüsterte Annie bitter. » Das heißt Otto.«
    Karl bat Paula, sich zu setzen, sie spielte mit ihrem Hemdsaum und lehnte ab. Annie schaute ihn streng an: »Woher kennt ihr euch?«
    »Ich wollte bloß, dass du und das Baby in Obhut genommen werdet«, gestand er.
    Sie spürte ihre Welt zusammenbrechen: »Wann?«
    »Als sie dich geholt haben, ich war das.«
    »Sie haben mich verpfiffen? Damals, an die Polizei?«, fuhr sie ihn so laut an, dass einzelne Gäste sich nach ihnen umsahen. »Ich denke, wir sprechen nicht mit denen. Sie
hätten bei mir klingeln können!«
    Er versuchte sich zu erklären: »Wir mussten uns um Paula kümmern. Du solltest mal zur Ruhe kommen, du hast es ja eh nicht leicht gehabt. Und das Kind brauchte …«
    »Ich bin doch meine Freiheit gewohnt!«,
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