Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)

Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)

Titel: Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)
Autoren: Claudia Schreiber
Vom Netzwerk:
Menschen gemacht, nicht für die Provinzler. Galle
starrte, die Bäckerin duckte sich und zupfte an ihrer Kleidung herum, Fritzi sah sich mit offenem Mund die Brunnen vor dem Tor an, prüfte mit ihrer Hand die Wassertemperatur, Nette
rührte sich nicht, sondern lauschte bloß, und Annie streichelte mit ihren Fingerspitzen die herrlichen Steinwände und Säulen im Treppenhaus.
    »Obama war hier«, flüsterte Nette.
    »obama wer?«
    »Na, der amerikanische Präsident!«
    »in das hotel jetze?«
    »Ja, war im Fernsehen.«
    »ja hammer.«
    Einzig Karl ging entspannt zur Rezeption, füllte den Meldezettel aus, fragte, wo was hingehörte und was zuerst und was danach passieren sollte. Er hatte eine Suite gebucht, die so
schön war, dass die Bäckerin wie ein sturer Esel im Gang stehen blieb und sich weigerte, hineinzugehen.
    »Nicht in meiner Dorfkluft, es wäre eine Schande.«
    So verschwand sie auf der Stelle und kam lange nicht zurück. Fritzi dagegen scherte sich nicht um ihre quietschenden Klamotten. Sie lächelte den Pagen an, der ihre Aldi-Tüte trug,
und schaute sich um, als sei sie in einer Schatzkammer gelandet. Der erste Raum war ein schönes Wohnzimmer mit riesigem dezent gelbem Sofa, großen Porzellanleuchten, einem Schreibtisch,
prächtigen Teppichen und einem Spiegel. Fritzi lief in alle Ecken, hopste auf dem Sofa herum, sprang herunter, berührte staunend die Königswappen, mit denen die Betten verziert
waren, tobte durch das angrenzende riesige und irrsinnig sauber polierte Bad. Im nächsten Zimmer entdeckte sie wieder ein Bett mit Bad, und so fort. Nette war besonders vom Glanz und von der
Sauberkeit tief beeindruckt. Nur Fritzis Toberei behagte ihr nicht.
    »Man muss sich ja für sie schämen!«
    Annie bat ihre Mutter um Verständnis: »Lass sie doch.«
    »Das Luxuriöseste an dieser Suite ist der Blick.« Sie hatte sich ans Fenster gestellt. »Da kannst du wirklich denken, du bist eine Königin, hier drin, und vor dir ist
deine herrliche Stadt und daneben ein Garten, aber anders als bei uns, ohne Obst und Gemüse, klar?«
    Dann fragte sie Karl verlegen: »Weshalb reicht nicht eine einfache Pension?«
    Er lächelte: »Manchmal muss es etwas Besonderes sein, genieß es einfach.« Er wandte sich an Annie: »Gehen wir?«
    »Wohin?«
    »Zum eigentlichen Zweck der Reise. Ist gleich gegenüber.«
    »Was gibts denn da?«, fragte Nette etwas eingeschüchtert, weil sie fürchtete, sich nicht anschließen zu dürfen.
    »Komm mit, Kirschenbäuerin, das musst du natürlich auch sehen.«
    Während die Leute im Sommer Kirschkerne achtlos wegspuckten, gab es hier in Dresden weltberühmte davon, die in der prächtigsten Schatzkammer Europas ausgestellt waren. Vor langer
Zeit waren sie sorgfältig ausgewählt und von einem unbekannten Künstler gewaschen, getrocknet und dann mit einer winzigen Schnitzmesserspitze unter einer Lupe bearbeitet worden. Karl
dozierte, der Künstler habe in eines der Exponate sage und schreibe 185 Gesichter hineingeschnitzt, über hundert davon seien mit dem bloßen Auge deutlich zu erkennen, die anderen
hatten Forscher gezählt. Dieses kleine Wunder wurde vor über fünfhundert Jahren geschaffen und war in einen Ohrring eingearbeitet, den ein kleines Goldornament umrandete. Für
Annie war dieser kleine Kirschkern mindestens so prächtig wie das große, herrliche Hotel.
    »Wie traut man sich das?«, fragte sie den Apotheker. »Wenn bei uns einer sagt, dass er so viele Gesichter in einen Kirschkern schnitzen will, hält man ihn doch für
bekloppt.«
    Karl nickte: »Wer was Tolles macht, ist toll im Kopf, das ist immer noch das Wort für verrückt.« Lächelnd fügte er hinzu: »Mir fällt eben ein, es gibt
ja auch Tollkirschen.«
    »Giftig.«
    »Nicht nur. Sondern eben auch toll. Es handelt sich um eine ausdauernde, krautige Pflanze, die seit der Antike medizinisch genutzt wird, unter anderem als Schmerzmittel.«
    Annie schaute ihre Mutter an und grinste: »Deine Idee, Konserven herzustellen, war ja genauso toll.«
    »Ja«, meinte Nette untröstlich, »und endete bombig.«
    Karl hatte großes Vergnügen daran, den beiden Damen nun auch ausführlich das Hotel zu zeigen. Nie hatte sich Annie für Wände und Treppenhäuser interessiert, weil
sie bloß Rigips mit Raufaser kannte. Hier wurde mit warmem hellem Stein gebaut, alles war breit und elegant. In einem Buch, das die Hotelleitung auf den eleganten Schreibtisch gelegt hatte,
waren alte Fotos des Palastes zu sehen. Im Krieg
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher