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Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)

Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)

Titel: Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)
Autoren: Claudia Schreiber
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da,
wenn du mich gebraucht hast, richtig?«
    Sie nickte.
    »Solches Handeln nennt man Anstand. Es gibt auch zwischen älteren und jüngeren Menschen Freundschaften, ohne dass der eine den anderen ausbeutet. Nun nimm dieses Buch hier
mit!«
    Sie nahm es gern und ging davon.
    Die kahlen Äste schlugen Annie ins Gesicht, Sägespäne rieselten ihr in die Augen. Sie hielt sich die Hände vors Gesicht und weinte, bis die Tränen den
Dreck herausgespült hatten. Die Säge blieb oft in den Stämmen stecken, Annie musste an ihr zerren und rucken, trat vor Zorn gegen den Stamm, klemmte sich die Finger ein, stieß
den Ellbogen an. Sie knipste mit der Baumschere so oft, dass ihre Sehnen sich entzündeten. Sie schätzte es regelrecht, wenn die Eiseskälte sie stach wie Nadeln, wenn sie abends vor
Erschöpfung in den Schlaf fiel und sich nicht an ihre Träume erinnerte. Aus Nettes Sicht war sie kreuzunglücklich, aber das stimmte nicht, sie hatte sich selten so erleichtert
gefühlt wie in dieser bockigen, eisigen Zeit.
    Sie las das Buch des Apothekers und war erschüttert. Wie arm wäre ihr Leben gewesen, wenn sie nie von Huckleberry Finn erfahren hätte. Ewige
Freundschaft schwor sie diesem Jungen, das Buch würde sie dem Apotheker nicht mehr zurückgeben. Er lächelte, als sie ihm das grimmig klarmachte, und schob ihr einen neuen Stapel
Bücher zu.
    Draußen stand die Natur im Frost still, Annies Körper aber explodierte regelrecht: Sie wuchs um einige Zentimeter, ihre Brüste entwickelten sich, als hätten sich sture
Grasspitzen durch Beton gekämpft. Sie bekam endlich ihre Tage, eine Taille und zu ihrem Glück kaum Pickel, ihre Laune besserte sich auffallend, doch sie ließ es niemanden
spüren. Sie wusch sich öfter als sonst, weil es in der heißen Wanne am Abend so gemütlich war und man das Badezimmer so herrlich abschließen konnte. Sie wog sich,
maß ihren Umfang oben, in der Mitte und unten, cremte sich ein, kämmte ihre Haare und verkleidete sich mit allerhand Sachen ihrer Mutter. Betrachtete ihren Körper im Spiegel, von
vorn und von den Seiten, stellte sich auf einen Stuhl, um auch ihre Knie zu sehen, und benutzte zuletzt den Handspiegel, um sich unten zu betrachten.
    Wenn sie sich vorstellte, wie groß eine Scheide bei einer Geburt werden musste und wie klein die Öffnung bei ihr war, schien ihr unbegreiflich, wie so etwas gehen konnte. Sie hatte
mal einen Kalenderspruch bei Fritzis Mutter in der Küche gelesen: Besser einmal im Jahr gebären, als sich jeden Tag den Bart zu scheren . Wer behauptete
solch einen Quatsch? Männer hatten doch keine Ahnung. Weshalb musste die Mutter eines Kindes so leiden und der Vater nicht? Weshalb zahlten die meisten Männer bloß, und die Frauen
kümmerten sich? Keiner hatte im Leben eine Wahl, was für ein Geschlecht er bekam. Ebenso nicht, ob er uralt endete, gesund oder krank war, gut aussehend oder hässlich, lahm oder
schnell, verwöhnt wurde oder allein blieb, alles war dem Zufall überlassen, konnte das sein? Werde ich Kinder gebären wollen?, fragte sie sich. Das zumindest würde sie vorher
genau überlegen, so was wie Paula würde ihr nicht passieren.
    Aber wer sollte ihr so nah kommen, dass er das da unten sah, streichelte und mehr? Sie schüttelte den Kopf. Unbegreiflich, nie und nimmer oder doch so gern? Sie konnte es sich nicht
vorstellen, es musste ähnlich peinlich sein, wie zu zweit auf der Toilette zu hocken. Sie war einmal eine Forscherin in dieser Sache gewesen, allerdings hatte sie nur Merkwürdigkeiten
gesammelt, selbst die Liebschaft des Bäckers mit dem roten Schuh hatte nichts Zärtliches gehabt, war bloß ein schnelles Keuchen gewesen. Den richtigen Sex hatte sie weder gesehen
noch davon gehört, wohl, weil zwei Liebende es ganz für sich tun und kein Aufhebens darum machen.
    Sie nahm etwas Hautöl und rieb sich unten ein, wie man sich Gesicht und Hände eincremt, und bekam eine fabelhafte Ahnung, wie es werden könnte, wenn man das gemeinsam tat. Sie
hätte in diesem befriedigenden Moment nicht gewollt, dass jemand das sah, Fotos machte oder es aufschrieb, es war ja gerade nur möglich und schön, weil man für sich war.
    Die Pflegefamilie des Kindes besaß ein Reihenhaus in einem Ort im Knüllwald, der Vorgarten war geharkt, der Gartenweg gekehrt. Sie hießen Schmitt, hatten
Kaffee gekocht und einen Bienenstich gebacken. Die Pädagogin hatte Annie vorgeschlagen, mit ihr und Nette dorthinzufahren.
    »Wieso mit meiner Mutter?«
    »Es
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