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Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)

Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)

Titel: Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)
Autoren: Claudia Schreiber
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hatte, dass die Mutter des Babys selbst sehr jung war.

SCHNITT
    A nnie schnitt die Schattenmorellen so zu, dass die Baumkronen Cognacgläsern glichen, in die von oben großzügig Licht
hineinscheinen konnte, damit die Blüten den Wind spürten, um gewinnbringend befruchtet zu werden, und damit die Früchte viel Sonne bekamen, um anständig zu reifen. Sie hatte von
ihrem Opa gelernt, eher wenige dicke Äste abzusägen, als an vielen Stellen dünne. Genau da, wo du Altes wegschneidest, werden neue Triebe kommen – so lautete die
Regel.
    Annie verbrauchte in diesen kalten Wochen viele Sägeblätter, ihre Muskeln taten weh, sie übte sich darin, mit der rechten und der linken Hand abwechselnd zu arbeiten, um sich zu
entlasten. Doch je schmerzhafter und schwerer diese Arbeit war, desto lieber war sie ihr.
    Fritzi tauchte alle paar Tage auf, blieb am Feldweg hinter dem Zaun stehen und beobachtete sie. Dann und wann hob sie ihre Hand zum Gruß, alles andere hätte Annie im Moment
gestört, das schien sie tatsächlich zu spüren. Einmal nur rief sie etwas, es war Ende November: »musst nich mehr traurig sein.«
    Annie schaute erschöpft und schwer atmend zu ihr hin.
    Und Fritzi ergänzte: »noch eima duschen, dann is weihnachten.«
    Nun musste Annie doch grinsen: »Du duschst nicht so oft?«
    »amerikanisch schon.«
    »Was ist eine amerikanische Dusche?«
    »na, mit deo.«
    »Und was ist mit Wasser?«, fragte Annie belustigt.
    Fritzi brummte zurück: »was? wasser ist wasser, un?«
    Sie schnitt sogar an Heiligabend, die Feiertage hindurch und an Silvester, an ihren Händen waren inzwischen dicke Schwielen. Der Apotheker quacksalberte an ihr herum und
schwor auf eine Mischung aus Zitronensaft, Kamillentee und zerdrücktem Knoblauch, mit der er sie behandelte. Sie wünschte, er könnte mit dem Zeug auch ihre gesamte Innenseite
pflegen, um ihre Laune zu verbessern.
    An einem dieser Tage bat er sie, ein wenig länger zu bleiben. Er hatte Kaffee gekocht und einen herrlichen Apfelkuchen mit Mürbeteig gebacken, süße Sahne dazugestellt, es
gab keine bessere Methode, Annie zu verwöhnen.
    Während sie schlemmte, klagte er bitter, seine Regale würden zusammenbrechen von den vielen Büchern, er werde eine Menge davon wegwerfen müssen.
    »Wegwerfen, Bücher?«, wandte sie ein.
    »Was bleibt mir übrig?«, fragte er und verkniff sich ein Grinsen.
    Beinahe schüchtern antwortete sie: »Ich lese eigentlich gern, Ihre Zeitung zum Beispiel.«
    »Du liest sie tatsächlich? Ich dachte, in deinem Alter surft man lieber.«
    »Sie legen sie mir doch hin, jeden Morgen.«
    »Ach, ich bin das, ja, das hatte ich ganz vergessen.« Er lächelte sie an, beinahe stolz. »Sie ist dann allerdings einen Tag alt.«
    »Das ist mir egal.«
    »Zurück zu den Büchern, hast du denn Platz in deinem Zimmer?«
    »Was wissen Sie von meinem Zimmer? Wollen Sie mich hier bloß zum Aufräumen zwingen?«, fragte sie misstrauisch.
    »Gott bewahre, nein!«, lachte er.
    Ein paar Momente später, nachdem sie das zweite Stück Kuchen aufgegessen hatte, fragte sie ernst: »Sie kochen und backen, obwohl Sie ein Mann sind.«
    »Wieso obwohl ?«
    »Opa hat nie gekocht, und schon gar nicht gebacken.«
    »Es gibt viele Männer, die das tun. Genauso wie es viele Frauen gibt, die Mathematik verstehen.«
    »Ich kann Mathe.«
    »Na bitte, quod erat demonstrandum.«
    »Aber ich koche nicht.«
    »So verschieden sind die Menschen. Jeder tut, was er will.«
    »Wollen Sie was von mir?«
    Sie fixierte ihn, als habe er schon zugegriffen. Er war sich nicht im Klaren, worauf sie hinauswollte, blickte Annie fragend an und erklärte: »Ich biete dir bloß meine
Bücher und Kuchen an, aber sicher nicht mehr!«
    »Weshalb haben Sie keine Frau?«, fragte sie streng.
    Nun zog er seine Augenbrauen hoch: »Das geht dich nichts an.«
    Annie ließ sich nicht einschüchtern, sie war mutig wie nie zuvor: »Es ist nicht normal, dass ein alter Mann was mit Mädchen macht.«
    Er schaute sie ernst an: »Da hast du recht. Und doch gibt es Lehrer, die dich mögen, weil du aufsässige Fragen stellst. Und Trainer, die dich über den Rasen jagen.
Später werden Freunde hinter dir herwinken, wenn du mit dem Auto davonfährst – sofern du Glück hast! Andere werden kommen, die dir den Rücken frei halten, ein gutes
Wort für dich einlegen. Und irgendwann welche, die ihren Weinkeller mit dir teilen. Das alles tut man unter kultivierten Menschen. Da liegt der Unterschied! Ich war meistens für dich
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