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02 - Die ungleichen Schwestern

02 - Die ungleichen Schwestern

Titel: 02 - Die ungleichen Schwestern
Autoren: Marion Chesney
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Erstes Kapitel

    Zu Beginn des
Jahres 1808 hatte der Nebel London in eine Alptraumstadt verwandelt. Nun war
Nebel in London keine Seltenheit. Was ihn aber so merkwürdig, so düster und so
niederdrückend machte, war, dass er so lange dauerte.
    Eine
zum Ersticken dichte gelb-graue Decke lag über der Hauptstadt und machte
den Tag zur Nacht. Nie waren die Fackelträger so begehrt gewesen, waren sie
doch in der Lage, ihre Schützlinge durch den würgenden Nebel zu geleiten und
ihnen den Weg zu weisen, auch wenn ihre lodernden Fackeln in der
undurchdringlichen Finsternis nicht größer als rote Lichtpunkte zu sein
schienen.
    Selbst
die elegantesten Straßen im West End hatten ihren unbeschwerten und
leichtlebigen Charakter eingebüßt - die Kutschen schwammen wie große
Tiere aus grauer Vorzeit durch den dunklen Morast, und menschliche Gestalten
tauchten wie ein Spuk auf und verschwanden wieder.
    Wer an
der Clarges Street Nummer 67 vorbeikam, schreckte beim Anblick der beiden
großen Eisenhunde, die an die zur Eingangstür hinaufführenden Stufen gekettet
waren, zusammen, da die wabernden Nebelschwaden die Tiere wie lebendig aussehen
ließen.
    Im Haus
Nummer 67 hatten die Diener das Gefühl, dass ihnen der Nebel buchstäblich in
die Seele gekrochen sei, so grau und elend erschien ihnen das Leben.
     Ein
neues Jahr hatte begonnen, und schon stand die nächste Londoner Saison bevor.
Aber der Unstern, unter dem das Haus in der Clarges Street stand, schien nicht
weichen zu wollen; es sah so aus, als würden sie keine Mieter bekommen, was
bedeutete, dass ihre Hungerlöhne auch nicht durch Trinkgelder aufgebessert
würden.
    Der
Eigentümer des Hauses war der zehnte Duke of Pelham, ein junger Mann, der so
viele Häuser besaß, unter anderem auch ein großes Stadthaus am Grosvenor
Square, dass er sich kaum bewußt war, dass ihm auch dieses Haus gehörte. Er
überließ die Verwaltung des Hauses, seine Vermietung und die Bezahlung der
Dienerschaft seinem Agenten Jonas Palmer, der ein Betrüger und Lügner war und
dem es Spaß machte, die Diener zu schikanieren.
    Napoleons
Armeen hielten ganz Europa in ihrem eisernen Griff und bedrohten auch die
Sicherheit Englands. Die Zeiten waren hart. Ohne Referenzen konnten Diener
nicht auf neue Stellungen hoffen. Und Palmer hatte gesagt, er werde keinem der
Diener von Nummer 67 je eine Referenz schreiben, im Gegenteil, jedem, der gehen
wolle, ein schlechtes Zeugnis ausstellen. So war es ihm möglich, die
Dienerschaft weiterhin sehr schlecht zu bezahlen, während er seinem Herrn die
regulären Löhne in Rechnung stellte und den Differenzbetrag in die eigene
Tasche steckte.
    Deshalb
war ein guter Mieter die einzige Hoffnung der Diener. Ein großzügiger Bewohner
des Hauses würde vielleicht ihre Löhne während der Dauer seines Aufenthaltes
aufstocken und sie selbst eventuell sogar mit den notwendigen Referenzen
versehen. Ihre Hoffnung auf einen neuen Mieter für das Haus war jedoch sehr
gedämpft.
    Nummer
67 galt nämlich als unheilbringende Adresse.
    Der
neunte Duke hatte sich hier erhängt. Im Jahr darauf hatte die Familie, die das
Haus für eine Saison gemietet hatte, ihre schöne Tochter Clara verloren, und
die nächsten Mieter büßten durch die Spielschulden des Sohnes ihr gesamtes
Vermögen ein. Die dritten Mieter - ein schottischer Gentleman, Mr.
Roderick Sinclair, und sein Mündel Fiona, die er als seine Tochter vorgestellt
hatte -waren großzügig zur Dienerschaft gewesen, und das Haus schien
endlich wieder vom Glück begünstigt zu sein. Aber Fiona Sinclair hatte den Earl
of Harrington geheiratet und war auf ihrer Hochzeitsreise mit ihm ins Ausland
gereist. Seitdem waren sie spurlos verschwunden, und man befürchtete, sie seien
tot.
    Wieder
einmal wurde das Haus in den Tageszeitungen annonciert.

    EIN HAUS FÜR DIF SAISON

    Herrenhaus, Clarges Street 67,
    Mayfair. Möbliertes Stadthaus.
    Gut geschultes Personal.
    Miete: 80 Pfund Sterling.
    Näheres bei Mr. Palmer, 25 Holborn.
    In einem
gewöhnlichen Stadtviertel konnte man ein Haus gut und gerne für So Pfund
Jahresmiete bekommen. Aber für Mayfair, wo man im Allgemeinen mit einer
jährlichen Miete von mindestens 1000 Pfund für ein unmöbliertes Haus ohne
Dienerschaft rechnen musste, war die Summe von So Pfund für die Saison äußerst
bescheiden. Die meisten hoffnungsvollen Mamas kamen schon einige Zeit bevor die
Saison begann nach London, um den Boden für die Einführung ihrer Töchter in die
Gesellschaft vorzubereiten. Deshalb
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