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02 - Die ungleichen Schwestern

02 - Die ungleichen Schwestern

Titel: 02 - Die ungleichen Schwestern
Autoren: Marion Chesney
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vergessen. Befehle wurden hinausgebellt. Eine Pferdedroschke fuhr vor dem
Haus vor. Rainbird nahm die zerbrechliche Lizzie auf den Arm und fluchte leise
vor sich hin, als er sie die Treppe hinauftrug.
    Joseph
folgte ihnen, die Hand in der Livreetasche. Er brachte ein feines, mit Spitzen
umhäkeltes Batisttaschentuch zum Vorschein und schaute es sehnsüchtig an. Es
war sein liebster Schatz. Dann lehnte er sich über Lizzie, die in einer Ecke
der Droschke lag und hielt ihr das Taschentuch hin. »Für dich, Lizzie«, sagte
er mit leiser Stimme. Er beugte sich nach vorne und küsste ihre magere weiße
Wange.
    Lizzie
hegte schon von dem Tage an, an dem sie begonnen hatte, in Nummer 67 zu
arbeiten, eine heimliche Liebe zu dem hochgewachsenen Lakaien. »Vielen Dank,
Mr. Joseph«, flüsterte sie, nahm das Taschentuch und steckte es in ihren Busen.
    Der
Offizier pflegte noch lange danach zu sagen, dass er noch nie ein so tapferes
Dienstmädchen gesehen habe. Sie hatte traumverloren gelächelt, während ihr ein
Chirurg im St.-George-Hospital die Wunde genäht hatte. So verklärt
vor Glück sah sie aus, dass eine alte Dame im Hospital ehrfürchtig in die Knie
sank, weil sie Lizzie für ein sterbendes Mädchen an der Schwelle zum Himmel hielt.
    Der
Schnee fiel in dicken Flocken, als sie Lizzie im besten Schlafzimmer im oberen
Stock zu Bett brachten. Palmer würde sich wohl in einer solchen Nacht nicht aus
dem Haus wagen, und für Lizzie, die sich die Pulsader aufgeschnitten hatte, um
sie alle zu retten, war das Beste gerade gut genug.
    Dann musste
der völlig verschreckte Dave, der nicht die geringste Ahnung hatte, was
vorgefallen war, aus dem Kamin geborgen werden. Er schluchzte vor Erschöpfung,
da er mit dem Gewicht des Tierkörpers auf dem Rücken über zwei Stunden an den
Sprossen gehangen hatte.
    »Du
solltest dich schämen, Angus«, sagte Rainbird streng zum Koch. »Zwei Kinder
sind wegen deiner Dummheit beinahe gestorben.«
    »Tja
nun, aber ihr werdet anders denken«, wenn ihr alle einen schönen Rehbraten im
Bauch habt«, sagte der Koch, der nichts bereute, und nahm Dave den Sack ab.
    »Lizzie
hat uns alle gerettet«, sagte Mrs. Middleton. »Gott segne sie.«
    Rainbird
seufzte müde; der Schnee wehte gegen die Fenster, die hoch oben in der Wand
waren. »Es ist so kalt«, sagte er. »Wir können kein Feuer machen, Angus.
Erwartest du von uns, dass wir das Tier roh essen?«
    »Ich
kann mich nicht um alles kümmern«, antwortete der Koch mürrisch.
    »Beim
Nachbarn haben sie heute Kohle gekriegt«, warf Dave ein, der sich bereits mit
der ihm eigenen Unbekümmertheit von allen Schrecken erholt hatte. »Ganze Säcke
voll Kohle, in großen glänzenden Stücken sind sie in den Keller geleert
worden.«
    Rainbirds
Augen wurden ganz schmal. »Lizzie muss es warm haben«, sagte er. »Und wir
müssen es warm haben.« Er brütete ein paar Augenblicke lang schweigend vor sich
hin. Dann blickte er in die Runde der Diener, die geradezu apathisch infolge
der beißenden Kälte herumsaßen.
    »Man
darf niemals etwas stehlen«, sagte er schließlich, »aber es kann nicht schaden,
etwas zu leihen. Als wir vom Hospital zurückgekommen sind, habt ihr sicher
bemerkt, dass Lord Charteris mit seiner gesamten Dienerschaft aufs Land
gegangen ist. Das bedeutet, das Haus neben uns ist leer.«
    »Das
ist richtig«, sagte Joseph und schaute den Butler dass sie alle neugierig an.
»Luke hat mir neulich erzählt, verreisen.« Luke war der erste Lakai der
Charterises.
    »Runter
in den Keller«, sagte Rainbird wie in Trance, »dort ist eine Hacke und eine
Schaufel.« Er stand auf, ein bedächtiges Grinsen kräuselte seinen Mund. »Zieh
dich aus, Joseph, Junge. Heute abend fördern wir Kohle!«
    »Meine
Pfoten«, jammerte Joseph und fiel wieder in sein Cockney-Gewinsel zurück, das
normalerweise unter einer dünnen Schicht von affektierter Vornehmheit verborgen
war.
    »Zieh
Handschuhe an, du Memme«, sagte Rainbird. »An die Arbeit?«
    Im
Schlafzimmer oben schlief Lizzie mit kurzen Unterbrechungen immer wieder ein.
Einmal versuchte sie mühsam, aufzustehen, weil das ganze Haus von lauten,
hämmernden Geräuschen widerhallte, und sie dachte, die Miliz sei
zurückgekommen. Doch sie war zu erschöpft und fiel schnell in einen unruhigen
Schlaf zurück.
    Später
am Abend erwachte sie wieder. Im Kamin knisterte ein Feuer und warf einen
tanzenden rosigen Schein an die Decke. Wärme umhüllte ihren Körper, und im
Halbschlaf fragte sie sich, woher sie die Kohlen
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