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02 - Die ungleichen Schwestern

02 - Die ungleichen Schwestern

Titel: 02 - Die ungleichen Schwestern
Autoren: Marion Chesney
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hatten. Dann beugte sich auf
einmal Joseph über sie, nackt bis zur Taille und schwarz vor Kohlenstaub.
    »Hast
du mein Taschentuch noch, Lizzie?« flüsterte er.
    »Ja,
Joseph«, sagte Lizzie im Halbschlaf. »Ich werde mich nie davon trennen.«
    Joseph
konnte seine Enttäuschung nicht verbergen. »Für dich immer noch Mr. Joseph,
freches Ding«, knurrte er und schlurfte davon. Er gesellte sich zu den anderen
rußgeschwärzten und müden Dienern im Essraum.
    »Was
soll das?« rief er. »Nur Brot und Wasser?«
    »Du
kriegst später was«, sagte MacGregor. »Ich werde die Leber braten. Aber das
Tier muss abhängen.«
    Rainbird
blickte den Tisch entlang auf die abgespannten, niedergeschlagenen Gesichter.
    »Seid
guten Muts«, sagte er. »Ich glaube nicht, dass der liebe Gott vorhat, uns in
Mayfair verhungern zu lassen. Irgendwo hat irgend jemand genau in diesem Moment
vor, das Haus zu mieten. Ich weiß es. Ich fühle es.«
    Aber
das gezwungene Lächeln um seinen Mund und die müde Traurigkeit in seinen Augen
strafte seinen Optimismus Lügen.

Zweites Kapitel

    In einem kleinen
Dorf zwölf Meilen von Brighton entfernt lebte ein junges, unscheinbares
Mädchen, das noch nicht wußte, dass es in der Clarges Street 67 wohnen und in
das Schicksal der Dienerschaft eingreifen würde. Sie war erst achtzehn Jahre
alt und steckte ihr Haar noch nicht auf. Ihr Name war Jane Hart, und sie war
die Tochter eines pensionierten Captain.
    Genau
in dem Augenblick, in dem Dave außer sich vor Angst mit dem Reh auf dem Rücken
den Kamin hinaufkletterte und die tapfere kleine Lizzie ihr Handgelenk in der
Spülküche aufschnitt, saß Jane Hart mit einem Liebesroman im Schoß am Fenster
ihres Zimmers und starrte, ohne etwas zu sehen, hinaus auf die weißen
Nebelschleier, die sich über den sanften Hügeln von Sussex hoben und senkten.
    Ihre
Schwester, Euphemia, nannte sie oft lachend »hässliches Entchen«. Denn Janes
Haut war so braun, wie die ihrer Schwester hell war, Jane war so klein, wie
ihre Schwester groß war, und sie war so schüchtern, wie ihre Schwester keck
war. Obwohl es Jane natürlich nicht gefiel, als hässlich bezeichnet zu werden, musste
sie zugeben, dass sie noch nie eine solche Schönheit wie Euphemia gesehen
hatte, und deshalb war es ganz verständlich, dass jede andere vor ihr verblasste.
    Euphemia
war neunzehn und eine elegante Erscheinung. Ihr üppiges braunes Haar war
naturgelockt. Ihre helle Haut war makellos, und ihre großen braunen Augen
schimmerten feucht. Sie hatte eine gerade kleine Nase und einen winzigen Mund,
dessen Oberlippe größer als die Unterlippe war.
    Jane
hatte widerspenstige, dicke Zigeunerhaare, die sich bei feuchtem Wetter
kräuselten. Ihr schmales Gesicht war goldbraun, ihr Mund groß und üppig, und
ihre Nase war leider eine ausgesprochene Stupsnase.
    Ihre
großen Augen waren haselnussbraun und von pechschwarzen Wimpern umgeben. Ihr
Onkel, Mr. Hardwicke, hatte einmal ihre schönen Augen gelobt, aber Mrs. Hart,
Janes Mutter, hatte die Nase gerümpft und schnippisch gesagt, dass Janes
dunkler Teint jede Möglichkeit von Schönheit von vornherein ausschließe.
    Mrs.
Hart, die selbst einst eine wirkliche Schönheit gewesen war, hatte ihre Eltern
dadurch enttäuscht, dass sie einen Captain heiratete. Jane hatte die Leute oft
sagen hören, ihr Vater sei in seiner Jugend ein feuriger und gutaussehender
Mann gewesen, doch jetzt war der Captain ein verdrießlicher, mürrischer,
hohlwangiger Mensch, an dem seine Frau ständig etwas auszusetzen hatte. Man
konnte sich schwer vorstellen, dass er je jung gewesen war.
    Mrs.
Hart hatte beträchtliches eigenes Vermögen. Sie hatte so lange auf ihren Mann
eingeredet, bis er widerstrebend unmittelbar nach der Schlacht bei Trafalgar
sein Kommando zurückgab und verbittert in den Ruhestand trat.
    Angesichts
von Mrs. Harts Vermögen hätte die Familie sich ein angenehmeres Leben leisten
können. Aber Mrs. Hart war überaus knauserig, und deshalb waren sie gezwungen,
ein feuchtes Haus in einem abgelegenen Dorf mit sehr wenig Abwechslung zu
bewohnen. Ihr einziger Besuch war eigentlich Lady Doyle, die Witwe eines
irischen Adligen, die behauptete, in London jeden, der Rang und Namen hatte, zu
kennen. Daher gehörte Lady Doyle in Mrs. Harts Augen zur feinen Gesellschaft.
    Mrs.
Harts Sparsamkeit erstreckte sich nicht auf Euphemias Mitgift, die äußerst
großzügig bemessen war, während von Janes Mitgift nie auch nur die Rede gewesen
war; und manchmal dachte Jane schon
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