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Suess und ehrenvoll

Suess und ehrenvoll

Titel: Suess und ehrenvoll
Autoren: Avi Primor
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gewandt, mit leiser Stimme: »Unser Sohn hat uns verlassen. Ludwig ist gefallen.«
    Karoline war wie gelähmt. Ihr starrer Blick glitt hilflos zwischen ihrer Freundin und Ludwigs Mutter hin und her. Eine furchtbare Kälte stieg in ihr auf, und sie hatte das Gefühl, ganz weit weg zu sein.
    Schließlich stieß sie mit zitternder Stimme hervor: »Woher wissen Sie das? Wann ist es passiert?«
    Nach einem lastenden Schweigen sagte Ludwigs Mutter, sie und ihr Mann hätten schon vor zwei Wochen die bittere Nachricht erhalten, doch sie habe sich in einem Schockzustand befunden, in dem sie zu nichts fähig gewesen sei. Ihr Mann habe ihr nicht beigestanden. Er habe die Nachricht mit aufeinandergepressten Lippen aufgenommen und seitdem nicht mehr darüber gesprochen. »Ich habe keine Ahnung, was in ihm vorgeht.« Erneut brach sie in Tränen aus. »Er ist so ein harter Mann. Sie wissen, wie streng er immer mit Ludwig war. Er wurde noch abweisender, seit er wusste, dass Sie und Ludwig heiraten wollten, und erst recht, nachdem wir erfuhren, dass Sie ein Kind erwarten. Ich durfte Ihnen nicht mitteilen, dass Ludwig gefallen ist. Als ginge sein Tod Sie nichts an. Als er eines Tages außer Haus war, habe ich die Gelegenheit genutzt und Ihre Eltern besucht. Ich wurde mit eisiger Kälte empfangen. Sie fragten mich, was ich wolle, und sagten gleich, Sie seien nicht da und würden auch vorläufig nicht zurückkommen. Ich sagte ihnen, dass Ludwig gefallen sei. Ihre Mutter reagierte nicht. Ich glaube nicht, dass die Nachricht sie kaltgelassen hat, aber sie schwieg. Ihr Vater murmelte ein paar förmliche Beileidsworte und gab mir zu verstehen, dass unser Gespräch damit beendet sei. Ihre Mutter begleitete mich allein zur Tür. Als wir außer Hörweite waren, flüsterte sie mir zu, dass Sie bei Friede seien. Ich solle Sie hier besuchen.«
    Karoline hörte Frau Kronheims Worte wie aus einem Nebel. Die drei Frauen umarmten sich wortlos. Das Schweigen wurde erst unterbrochen, als eins der Babys zu weinen begann.
    Erst Tage später hatte sich Karoline so weit gefasst, dass sie ihren Eltern zu schreiben vermochte.

    Vielleicht ist dies der letzte Brief, den Ihr von mir bekommt, denn ich rechne damit, dass Ihr ihn nicht beantwortet. Dieses Risiko muss ich auf mich nehmen. Über Eure Reaktion auf unsere Heiratspläne zu diskutieren ist sinnlos. Ebenso zwecklos wäre es, Euch zu fragen, warum ich kein teilnehmendes Wort von Euch über den Verlust meines Verlobten gehört h abe. Ich möchte Euch nur sagen, dass ich Ludwig für immer und ewig verbunden bin. Ich werde mein Leben unseren gemeinsamen Kindern widmen und sie so erziehen, wie Ludwig es sich gewünscht hätte: als Juden, als deutsche Juden. Als deutsche Patrioten, die stolz auf ihren Vater sind, der für sein Vaterland gefallen ist.
    Ich glaube nicht, dass Ihr Näheres über Eure Enkel hören wollt, nachdem Ihr ihre Geburt völlig ignoriert habt. Doch so viel sollt Ihr wissen: Es sind Zwillinge, ein Junge und ein Mädchen, und sie heißen Sara und Israel. Und damit Ihr es gleich wisst: Daran ist nicht mehr zu rütteln. Sie sind unter diesen Namen offiziell registriert. Damit sage ich Euch Lebewohl. Ich verdanke Euch viel. Mein Herz war immer voll Liebe zu Euch, und daran hat sich nichts geändert. Doch ich muss meinen Weg gehen, den Weg, auf den mich die Liebe meines Lebens geführt hat.

    Eure Tochter Karoline

38
    M ETZ
— Winter 1918 —
    In den ersten Novembertagen wurde noch immer geschossen. Für Louis und seine Kameraden ging der Krieg mit aller Härte weiter. Dann kam endlich der Waffenstillstand. Der Kaiser war zurückgetreten und nach Holland geflüchtet. Deutschland war Republik. Doch für Louis und seine Kameraden war das Soldatenleben noch nicht vorbei. Eine Woche nach dem offiziellen Waffenstillstand war seine Einheit wieder unterwegs.
    Der Bataillonskommandeur, Major Edmond Giscard, hatte Louis einen Sonderauftrag erteilt: »Fahren Sie mit Ihren besten Männern nach Koblenz, und holen Sie die Kanone zurück, die 1871 von den Preußen aus dem Militärmuseum des Invalidendoms weggeschleppt worden ist. Es geht um die Ehre Frankreichs.« Louis salutierte und versprach, sich darum zu kümmern.
    Zur Belohnung durfte er mit seiner Kompanie die Ehrenformation bei der großen Feier zur Befreiung von Elsass-Lothringen anführen, die Anfang Dezember in Metz stattfand. Die Stadt war nach achtundvierzig Jahren deutscher Herrschaft wieder französisch und sollte vom Präsidenten der
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