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Suess und ehrenvoll

Suess und ehrenvoll

Titel: Suess und ehrenvoll
Autoren: Avi Primor
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mir nicht einmal sicher, ob dieses Ziel wirklich erreicht wurde.« Sie lächelte. »Vielleicht bringt die Feier, die wir heute erlebt haben, tatsächlich den Durchbruch. Dass eine solche Ehrung der jüdischen Soldaten überhaupt stattfindet und dazu noch in Lothringen, kommt mir fast wie ein Wunder vor. So etwas wie ein göttlicher Fingerzeig. Oder die Ankunft des Messias.«
    »Pétain als Messias?«, versuchte Louis, die Begeisterung seiner Liebsten ein wenig zu dämpfen.
    »Allerdings. Das ist gar nicht so übertrieben, wie es klingen mag.«
    »Na gut.« Louis nahm sie fest in die Arme. »Aber die nächste Feier, zu der ich gehe, ist unsere Hochzeit!«

39
    B ERLIN
— Dezember 1918 —
    Karoline und Ludwigs Mutter wohnten jetzt schon seit einigen Wochen bei Friedes Eltern. Zum Glück waren sie Tag und Nacht mit den Babys beschäftigt. Karoline konnte sie nicht mehr stillen. Als Frühgeburten mussten sie noch öfter gefüttert werden als normale Kinder. Die Pflege rund um die Uhr glich einer Tretmühle: Flaschen sterilisieren, Milch wärmen, eines der Kinder mit unendlicher Geduld füttern, weil die Frühgeborenen nicht so kräftig saugen konnten wie andere Babys. Und danach Windeln wechseln. Dann kam das zweite Kind an die Reihe, und so ging es immer weiter. All das lenkte die Frauen von dem Unglück ab, das sie getroffen hatte.
    Aus Frankfurt kam keine Nachricht, weder von Familie Schulzendorf noch von Ludwigs Vater. Eine Woche nach dem Umzug zu den Friedmanns kam Friede mit zwei Briefen in der Hand herein und verkündete, sie habe gute Nachrichten. Die Armee teilte der Familie mit, dass Willi bald aus dem Krankenhaus entlassen werde. »Sein Zimmergenosse im Krankenhaus hat zwar geschrieben, wir müssten ihm bei seiner Rehabilitierung helfen«, sagte Friede, »aber was tut das zur Sache! Er ist schwer verwundet, doch er lebt und wird wieder gesund werden!« Sie lächelte.
    »Seltsam ist nur«, fügte sie leiser hinzu, »dass Willi nicht selbst geschrieben hat. Er mag sicher nicht gern darüber sprechen. Es fällt ihm schwer, sich als hilfloses Kriegsopfer zu sehen. Ach, der männliche Stolz! Ein bisschen albern ist das schon. Bald wird er alles überstanden haben.« Mit diesem Trost versuchte sie, ihre Eltern ein wenig aufzuheitern. Wenigstens einer der Söhnewürde nach Hause kommen. Und tatsächlich belebte sich der stumpfe Blick der Eltern. Die Mutter rang sich sogar ein halbes Lächeln ab.
    »Und jetzt, meine Lieben«, sagte Friede, »kommen wir zu dem zweiten Brief. Ob ihr es glaubt oder nicht, er ist von Leopold Rosenak!«
    »Wer ist das?«, fragten Karoline und Selma.
    »Das wisst ihr nicht?«, staunte Friede. »Rosenak ist ein berühmter Rabbiner. Hindenburg und Ludendorff haben ihn mit Auszeichnungen überhäuft. Wisst ihr noch, wie tief verbunden unser Max diesem Rabbiner war?«, fragte sie, zu ihren Eltern gewandt. »Rosenak hatte Max ins Herz geschlossen, er hat sich persönlich um sein Begräbnis gekümmert und sogar das Kaddisch über seinem Grab gesagt. Er hat euch das alles auch selbst geschrieben, erinnert ihr euch nicht?
    Dank der Beziehung zwischen Max und Rosenak haben wir eine unverhoffte Einladung bekommen«, fuhr Friede fort. »Nächste Woche findet in der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße eine Feier zum Gedenken an die Gefallenen statt. Und nun seht euch an, was auf der Einladung steht: Als Ehrengast wird Hindenburg persönlich erwartet.«
    Karoline hatte die Bedeutung des Ereignisses zwar sofort begriffen, wunderte sich aber über den Enthusiasmus ihrer Freundin. Seit wann begeisterte sich Friede für Generäle? Selbst wenn es Hindenburg war? Erst später begriff sie, dass Friede versuchte, ihre Eltern auch auf diese Weise aufzumuntern.
    Aufgrund ihrer Beziehungen gelang es Friede, auch für Karoline und Selma eine Einladung in die Neue Synagoge zu besorgen. Nach und nach steckte sie auch die übrigen Hausbewohner und sogar die trauernden Eltern mit ihrer Euphorie an. Als die aufgeregten Gemüter sich etwas beruhigt hatten, sagte Karoline zu Friede: »Ich habe eine Bitte an dich: Ich möchte Sara und Israel zu der Feier mitnehmen.«
    »Wie? Du willst da mit den Zwillingen auftauchen? Zu einem historischen Ereignis wie diesem kann man nicht mit zwei Säuglingen kommen! Stell dir das vor: Hunderte von prominenten Gästen sitzen in ehrfürchtigem Schweigen, und plötzlich mittendrin Babygeschrei! Das kommt nicht infrage. Für ein paar Stunden kannst du die Zwillinge ruhig dem
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