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Süden und das Lächeln des Windes

Süden und das Lächeln des Windes

Titel: Süden und das Lächeln des Windes
Autoren: Friedrich Ani
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ging an ihm vorbei, ohne ihn zu beachten, nahm aus einer Schublade einen kleinen Plastikbeutel und steckte den Metallstift hinein. »Den geben Sie dem Burmann mit, wenn er kommt, das ist Pfusch, das können Sie ihm sagen.«
    »Mach ich«, sagte Carola.
    »Der Junge ist verschwunden«, sagte Martin.
    »Sind Sie auch von der Polizei?«, fragte mich die Zahnärztin.
    »Ja«, sagte ich.
    Sie gönnte mir einen Blick.
    »Wann haben Sie ihn zum letzten Mal gesehen?«, fragte Martin.
    »Da müsst ich auf der Karte nachschauen, ist das wichtig?«
    »Ja.«
    »Schauen Sie nach, Carola!« An der Tür blieb sie einen Moment stehen, direkt vor Martin. »Das nächste Mal fragen Sie mich, bevor Sie mein Büro betreten.«
    »Entschuldigung, Frau Doktor«, sagte Carola. »Es war meine Schuld, ich hab die beiden…«
    Die Ärztin war schon auf dem Weg zurück ins Sprechzimmer. Kurz darauf hörten wir ein Surren und das Gurgeln von Wasser. Martins bleiches Gesicht glich einer Maske von Madame Tussaud.
    »Wissen Sie, wann der Junge das letzte Mal hier war?«, fragte ich.
    »Das ist mindestens zwei Monate her.«
    »Und wann haben Sie ihn zum letzten Mal gesehen?«
    »Am Wochenende.« Ich schwieg.
    Martin stand weiter in der Tür, abwechselnd den Flur und das Büro im Blick.
    »Ich weiß nicht, wo er ist«, sagte Carola. An der Rezeption klingelte das Telefon. »Bitte entschuldigen Sie mich.« Sie ging hinaus.
    »Sie hält zu ihrer Schwester«, sagte Martin. »Dein Plan ist nicht aufgegangen.«
    Mittlerweile sackte seine Laune ins Unterirdische.
    Ich fragte mich, was mein Plan gewesen war. Ich hatte Carola Schild angelogen, nichts weiter, ich dachte, sie würde uns eine Tür öffnen, hinter der vielleicht der Junge auftauchte, in nicht allzu großer Entfernung, sodass wir den Fall, der noch keiner war, lösen konnten, bevor wir in die Fahndung gingen, die Tage und Nächte dauern und Hunderte von Kollegen beschäftigen würde. Mein Plan war ein simpler Trick, und ich wusste nicht einmal, wieso ich mich dafür entschieden hatte. Vermutlich, weil die Aussagen der Mutter mich verärgert hatten, vermutlich, weil ich mir einbildete, sie treibe ein niederträchtiges Spiel mit ihrem eigenen Kind. Was für ein Spiel? Warum niederträchtig? Weshalb mischte ich mich in das Leben dieser Familie ein, was wollte ich mir damit beweisen?
    Ich stand in dieser Praxis und war mir sicher, auch Carola Schild sagte nicht die Wahrheit, auch sie wusste mehr über Timos Verschwinden, als sie zugab, genau wie seine Mutter, und ich hatte nicht das Recht, ihnen irgendetwas vorzuhalten. Ich war nur eifrig, sonst nichts, ich war nur in einer merkwürdigen Stimmung. Ähnlich wie Martin.
    »Wir gehen«, sagte ich.
    Sofort zog Martin den Reißverschluss seiner Jacke hoch. Als wir auf die Straße traten, fielen dicke weiße Flocken aus den grauen Wolken. Wir legten den Kopf in den Nacken und öffneten den Mund wie Kinder und blieben regungslos stehen.
    Wir waren die einzigen Gäste in der griechischen Taverne, und nachdem Martin zwei Helle aus Erharting getrunken hatte, fand er seine Sprache wieder. Ich hatte in der Zwischenzeit von einer Telefonzelle am Weißenburger Platz aus im Dezernat angerufen, um mich zu erkundigen, ob Susanne Berghoff sich noch einmal gemeldet hatte, was nicht passiert war.
    »Schaff dir doch endlich mal ein Handy an!«, sagte die Kollegin in der Zentrale.
    »Wozu?«, sagte ich.
    »Dann brauchst du nicht immer in kalten Telefonzellen rumstehen und versuchen mit abgelaufenen Telefonkarten zu telefonieren.«
    Eine halbe Minute nachdem ich angerufen hatte, war das Gespräch abgebrochen, und ich musste mir in einem nahe gelegenen Kiosk eine neue Karte besorgen.
    »Du hast Recht«, sagte ich zu der Kollegin. Martin und ich waren die Einzigen im Dezernat, die kein Mobiltelefon besaßen.
    Dann rief ich Sonja an: »Wie gehts Ihnen?«
    »Schlecht.«
    »Brauchen Sie was?«
    »Eine Gesundheit.«
    »Die wird kommen.«
    »Danke für Ihr Mitgefühl.«
    »Bis Freitag müssen Sie wieder fit sein«, sagte ich.
    »Ich hasse Weihnachtsfeiern.«
    »Sie müssen aber hin.«
    »Warum?«, fragte sie.
    »Weil Sie neu in der Vermisstenstelle sind und eine kurze Rede halten müssen.«
    »Das ist erst recht ein Grund nicht hinzugehen.«
    Bis heute bin ich froh, dass sie damals trotzdem hingegangen ist, trotz ihrer angeschlagenen Gesundheit und der Ansprache, um die sie nicht herumkam.
    »Wir müssen den Ehemann anrufen«, sagte Martin, als ich mit Schneeresten in den Haaren
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