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Süden und das Lächeln des Windes

Süden und das Lächeln des Windes

Titel: Süden und das Lächeln des Windes
Autoren: Friedrich Ani
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als sei ich davon überzeugt.
    »Bestimmt«, sagte sie.
    Dann senkte sie den Kopf, und ich fürchtete, sie würde wieder in die alte Lethargie verfallen. Doch dann schnellte ihr Kopf nach oben.
    »Wenn mein Mann davon erfährt, dreht er durch!«, sagte sie mit fester Stimme. »Wir müssen Timo finden. Sie müssen ihn finden, bitte, Sie müssen ihn finden!«
    »Sie müssen es Ihrem Mann sagen.«
    »Nein!«
    »Wo könnte Timo sein? Bei einem Freund?«
    »Er hat nicht viele Freunde«, sagte sie.
    »Warum nicht?«
    »Bitte?«
    »Warum hat ein Neunjähriger nicht viele Freunde?«, sagte ich.
    »Da kann ich doch nichts dafür!«, sagte sie und starrte ihre rechte Hand an wie einen Fremdkörper, den sie gerade erst bemerkt hatte.
    »Haben Sie noch andere Kinder?«
    »Bitte? Nein, Timo ist unser Einziger. Ich hab schon… Ich hab meine Schwester angerufen, die wohnt in der Stadt, die weiß auch nichts, bei ihr hat er sich nicht gemeldet… Wo könnte er denn sein?«
    »Sie haben gesagt, er war schon öfter über Nacht weg, wo war er da?«
    »Nicht so oft, wie Sie vermuten. Er war bei einem Freund, bei einem Freund war er da, und manchmal bei meiner Schwester, ja, weil ich… einmal war ich krank, da hat er bei ihr übernachtet, in der Lothringer Straße…«
    »Haben Sie mit dem Freund gesprochen?«, fragte ich.
    »Nein«, sagte sie. »Ich hab noch… ich hab mich nicht getraut… Ich wollt erst Sie um Rat fragen.«
    »Rufen Sie ihn an«, sagte ich.
    »Und was soll ich sagen?«
    »Sie fragen ihn, ob Timo bei ihm ist, was denn sonst?«
    »Und wenn er Nein sagt?«
    »Dann fragen Sie ihn, ob er weiß, wo Timo sein könnte. Was ist denn mit Ihnen los, Frau Berghoff?«
    »Die… die…« Sie sah wieder zur Tür und rieb mit dem rechten Handrücken über die Tischdecke. »Die wissen doch, dass ich… dass mir schon mal die Hand ausgerutscht ist, das wissen die doch, und wenn ich jetzt sag, dass der Timo…«
    »Sie nennen das ›die Hand ausrutschen‹, wenn Sie Ihren neunjährigen Sohn blutig prügeln?«, sagte ich.
    Sie erschrak so heftig, dass sie sich wieder das Knie am Tisch anschlug.
    »Aber… aber…«
    »Wie heißt Ihre Schwester?«, fragte ich.
    »Bitte?«, fragte sie verwirrt. »Carola, Carola Schild, in der… in der…«
    »In der Lothringer Straße«, sagte ich.
    »Woher wissen Sie das?«
    »Sie rufen jetzt diesen Freund von Timo an«, sagte ich.
    »Und dann überlegen Sie sich, ob Sie Timo als vermisst melden wollen. Haben Sie das verstanden? Mein Kollege und ich sind keine Privatdetektive. Sie haben Ihren Sohn verprügelt, und er ist weggelaufen, das passiert häufig, vielleicht ist er heute Abend wieder da. Wenn nicht, rufen Sie mich an, und wir können anfangen, ihn professionell zu suchen. Machen wir das so?«
    »Ja«, sagte sie, obwohl ich den Eindruck hatte, dass sie mir überhaupt nicht zugehört hatte.
    Ich stand auf. »Haben Sie Angst um Ihren Timo, Frau Berghoff?«, fragte ich.
    »Natürlich!«, sagte sie schnell.
    »Warum erstatten Sie dann keine Anzeige?«
    »Das hab ich doch… das hab ich Ihnen doch erklärt. Wenn…«
    »Ja«, sagte ich. An der Tür drehte ich mich noch einmal um. »Sie sehen, ich bin nicht besonders sanft heute.«
    »Ich hätt Sie nicht anrufen sollen«, sagte Susanne Berghoff.
    »Das scheint mir auch so«, sagte ich und ging.

3
    » E rklär mir diese Frau«, sagte Martin Heuer.
    Im »Römercafe« am Pündterplatz, das im vorigen Jahrhundert genauso aussah wie jetzt, saßen diskutierende Gäste um die fünfzig und an den Tischen am Fenster drei junge Leute, die in dicken Büchern lasen. Es roch nach Kräutertee und Duftöl, und aus den alten Sofas stieg dezenter Modergeruch. Die alten Teppiche dämpften jeden Schritt, es herrschte eine heimelige Wärme, auf den Tischen brannten Kerzen und auf den Blättern der Grünpflanzen kuschelte sich Staub. Jeden Moment erwartete man einen Gedichtvortrag oder eine vorweihnachtliche sinngebende Darbietung aus der angerauten Bohemienkehle eines Schwabinger Originals.
    Zum Glück blieb alles ruhig. Martin und ich versanken in einer dunkelbraunen Couch und mussten uns jedes Mal mühsam aufrichten, wenn er sein Bierglas oder ich meine Kaffeetasse auf dem für die Sitzverhältnisse zu hohen Holztisch erreichen wollte. Wir hockten nebeneinander, krumm und lasch wie zwei alte Säcke, denen die Luft ausgegangen war.
    Ich überlegte, wie ich ihm diese Frau erklären könnte. Susanne Berghoff, Pächterin eines kleinen, aber beständigen Hotels,
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