Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Süden und das Lächeln des Windes

Süden und das Lächeln des Windes

Titel: Süden und das Lächeln des Windes
Autoren: Friedrich Ani
Vom Netzwerk:
nämlich ein Liebespaar, los, sag, dass das stimmt, los, du Feigling!«
    »Das stimmt«, sagte Timo, und es klang nicht verzagt.
    »Wir sind ein Liebespaar.«
    »Aber eure Mütter haben was dagegen«, sagte Martin.
    »Glaubst du…« Sara stieg Martin auf die Schuhe, und er verstärkte den Griff. »Hör auf! Ich erstick gleich! Glaubst du… die können doch nicht verbieten, dass wir ein Liebespaar sind, das ist doch krank, die können doch das Liebesein nicht verbieten! Das ist verboten, stimmts?«
    »Das Liebesein?«, fragte ich.
    »Ja, genau!«, sagte Sara. »Dass man das verbietet, das ist verboten.«
    »Vielleicht«, sagte ich.
    »Woher wissen Sie das, dass mein Vater mich nicht mitnehmen will?«, fragte Timo leise.
    »Habe ich dir doch gesagt, von deiner Mama. Du kannst sie bald fragen.«
    »Der lügt!« Jetzt versuchte Sara, Martin in den Arm zu beißen, ein völlig unnützer Versuch, zumal er seine dicke Daunenjacke trug.
    »Woher kennst du diese Wohnung, Sara?«, fragte ich.
    »Von meinem Vater… Du tust mir weh, Blödmann!… Ich hab die Adresse auf einem Zettel gelesen, und ich hab gewusst, welcher Schlüssel es ist… Au!…«
    »War dein Vater mal hier?«
    »Öfter, mit dem anderen Gangster, die haben sich hier heimlich getroffen, das weiß ich… Lass mich los, oder ich zeig dich an wegen Kindesmisshandlung!«
    »Okay«, sagte Martin.
    Ich sagte: »Wollen wir gehen?«
    Timo sah sich im Zimmer um wie jemand, der für lange Zeit Abschied nimmt.
    »Würdest du gern hierbleiben?«, fragte ich ihn. Er schüttelte den Kopf.
    »Du bist so ein Feigling!«, rief Sara. »Ich hab so viel für dich getan, und was hast du getan?«
    »Ich hab aufgepasst, dass du in der Nacht nicht aufwachst«, sagte Timo, und sein Blick endete auf seiner Mütze, die als Knäuel unter dem Fenster lag. »Immer wenn du dich bewegt hast, hab ich meine Hand auf deine Augen gelegt, damit sie nicht aufgehen. Siehst du? Und du hast dich ganz oft bewegt. Aber ich hab aufgepasst, heut Nacht und gestern Nacht auch schon und vorgestern Nacht und vorvorgestern Nacht auch schon. Deswegen bist du jetzt nämlich so ausgeschlafen, das ist doch gut oder nicht?«
    Dann ging er zum Fenster, bückte sich und setzte sich die Mütze auf. Achtlos ließ er seine Spielzeugpistole fallen, nahm die Ohrschützer vom Boden, strich sie glatt, klopfte sie im Gehen ab, stülpte sie behutsam über Saras Kopf und achtete darauf, dass sie genau auf ihren Ohren saßen. Mit zusammengepressten Lippen gab er Sara einen schnellen Kuss und schlurfte zur Wohnungstür, ohne seine Pistole aufzuheben.
    »Der ist doch blöd«, sagte Sara mürrisch. »Ich hab sogar die Botschaft für seine Mama schreiben müssen, weil er das nicht hingekriegt hat, der Blödian.«

15
    V on einem Fall wie diesem blieb nicht einmal eine Akte. Die Mitglieder der Soko beteuerten, wie erleichtert sie seien, und übten harte Kritik am Verhalten der Eltern, ehe sie in ihre Kommissariate zurückkehrten, wo ihre Alltagsarbeit liegen geblieben war. Nachdem ich meinem Vorgesetzten und meinen Kollegen einen mündlichen Abschlussbericht gegeben hatte, schickte ich einen Vermisstenwiderruf an Wieland Korn vom LKA, der die Daten in seinem Computer korrigieren und schließlich löschen würde.
    Es war nichts passiert. Niemand war verletzt oder getötet worden, zwei Kinder waren ausgerissen, und wir hatten sie in ihre ruinierten Elternhäuser zurückgebracht. Letzte Gespräche an der Haustür. Dann fiel die Tür zu, und in den Zimmern dahinter stieg das Schweigen wie eine Flut.
    Dafür waren wir nicht zuständig.
    Die Luft roch nach Schnee von den Bergen, und ein kalter Wind wehte.
    Der Junge saß in seinem Zimmer und durfte nicht hinaus. Vielleicht war es Timo, vielleicht war ich es, damals, als ich dachte, meine Mutter würde mich verstoßen, ihr Schmerz wäre ihr wichtiger als ich, und sie würde sterben, ohne mich mitzunehmen. Deshalb musste ich weglaufen, weit in den Wald hinein und wieder hinaus und weiter durch die Nacht und durch den Tag. Ich wollte nicht verstoßen werden, ich wollte nicht einsam gemacht werden, ich wollte mich, wenn es schon unbedingt sein musste, selber einsam machen, für alle Zeit.
    Der Junge, der Timo war oder ich, lebte in einer Vorstellungswelt, und als diese zerbrach, fiel es ihm unsagbar schwer, das wahre Leben zu begreifen, zu dem der Tod gehört wie jeder andere Abschied, wie die Lüge und das Scheitern.
    Und der Junge, der ich war oder Timo gewesen sein wird, fürchtete im
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher