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Süden und das Lächeln des Windes

Süden und das Lächeln des Windes

Titel: Süden und das Lächeln des Windes
Autoren: Friedrich Ani
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beizubringen, wie das Leben geht. Sie hat halt ihren eigenen Kopf. Schon mit sechs ist sie weggelaufen, am ersten Schultag! Können Sie sich das vorstellen? Sie ist nicht heimgekommen. Das war zu der Zeit, als es meiner Frau endlich besser ging, die Therapie war zu Ende und sie musste auch keine Tabletten mehr nehmen. Erster Schultag, Sara hat sich gefreut, sie ist ja ein neugieriges Mädchen, wir haben ihr eine schöne Schultüte geschenkt, mit Goldpapier verziert, meine Frau hat sie aufbewahrt, Sie können sie sich anschauen, wirklich was zum Herzeigen.
    Und ich hab mir frei genommen und bin mit Sara und meiner Frau in die Schule mitgegangen, und dann sind wir nach Hause, meine Frau hat gekocht, ganz normal, ohne Zwischenfälle, alles normal. Und am Nachmittag musste ich in den Dienst, und eine Stunde später ruft mich meine Frau an und sagt, Sara ist verschwunden. Im ersten Moment hab ich gedacht, ich ruf bei Ihnen im Dezernat an, wir haben ja alle Nummern an der Wand hängen, kein Problem. Aber dann hab ich zu meiner Frau gesagt, wir warten noch, die kommt schon wieder. Denn ein Junge aus der Nachbarschaft war auch weg, und jemand hat die beiden zusammen gesehen, da war nichts mit fremdem Mann oder Auto oder so, die wollten einfach spielen. Am Abend ist sie zurückgekommen. Sie hat gesagt, sie waren im Wald auf einem Hochsitz, wo die Sonne hinscheint und man in alle Richtungen schauen kann, und da waren sie und haben gewartet, bis die Sonne untergegangen ist, sonst nichts. Natürlich hab ich ihr verboten, einfach so wegzulaufen, und ich hab ihr eingetrichtert, dass das gefährlich ist, und dann haben meine Frau und ich ihr eindringlich erklärt, dass sie sich von niemand ansprechen lassen darf, vor allem von keinem Mann, und dass sie keine Geschenke annehmen darf und so weiter. Und es ist auch nie was passiert. Aber weggelaufen ist sie immer wieder, sie wollt halt raus, sie hat dieses Bedürfnis nach Draußensein, können Sie sich das vorstellen? Sie kann stundenlang allein auf einem Baum sitzen, sie braucht niemand, sie ist einfach nur gern da, wo die Sonne scheint, wo es hell ist, auf einer Lichtung, auf einem Hochsitz.«
    »In letzter Zeit ist sie mit Timo unterwegs«, sagte ich.
    »An dem hat sie einen Narren gefressen, meine Frau will ihr das verbieten, das ist natürlich ganz verkehrt. Sie können Sara nichts verbieten, Sie können sie überzeugen, das klappt, sie können sich hinsetzen und mit ihr reden und ihr sagen, das und das geht nicht, weil das solche und solche Konsequenzen hat, Sie müssen sich einen Haufen Mühe geben, dann haben Sie eine Chance. Verbieten, das ist ganz falsch. Ich rede meiner Frau nicht drein, sie ist beim Kind den ganzen Tag, ich nicht, aber ich seh natürlich, was schief läuft. Bei Druck macht das Kind zu, da stoßen Sie auf eine Wand. Man muss Sara lassen, lassen und dann behutsam eingreifen, und zwar verbal, Sie müssen mit ihr reden, das ist phänomenal, wie das funktioniert, sie braucht das gesprochene Wort, anders kann ich das nicht sagen, sie will, dass Sie mit ihr sprechen, von Angesicht zu Angesicht, das ist schon erstaunlich, finden Sie nicht? Und jetzt erklär ich Ihnen, wie das mit Enke gelaufen ist, damit Sie einen Einblick…«
    Ich sagte: »Dafür sind unsere Kollegen zuständig.«
    »Das ist aber wichtig…«, sagte Frank Tiller.
    »Ist Ihnen eine Wohnung in der Nähe des Haidenauplatzes eingefallen?«, sagte ich.
    »Der Enke und ich… Er hat eine alte Wohnung in der Kreillerstraße, in der Nähe vom Haidenauplatz ist die nicht direkt, eine andere kenn ich nicht, ich weiß nicht…«
    »Welche Hausnummer?«, sagte ich.
    »Hausnummer«, sagte Tiller.
    »Welche Hausnummer?«, sagte Martin.
    »Hausnummer«, sagte Tiller. »Hausnummer. Siebzehn, glaub ich, ja siebzehn…«
    »Welcher Stock?«, fragte Martin.
    »Vierter«, sagte Tiller. »Was wollen Sie in der Wohnung? Glauben Sie, dass Sara da ist? Die kennt die Wohnung überhaupt nicht…«
    »Haben Sie einen Schlüssel zu der Wohnung?«, sagte ich.
    »Einen Schlüssel?«
    Er zupfte an seinem grauen Anzug, der immer mehr knitterte. Während seiner Erklärungen war er ständig auf dem Stuhl hin und her gerutscht und hatte sich die Jacke auf und zugeknöpft.
    »Einen Schlüssel«, sagte ich. Er zuckte mit der Schulter.
    »Ihre Frau vermisst einen Schlüssel«, sagte ich.
    »Was?«
    »Sie hat uns vorhin gesagt, in der Garderobe in Ihrem Haus, wo die Schlüssel hängen, fehlt einer.«
    »Aha.«
    »Hing dort ein
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