Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Süden und das Lächeln des Windes

Süden und das Lächeln des Windes

Titel: Süden und das Lächeln des Windes
Autoren: Friedrich Ani
Vom Netzwerk:
meinte Sklave, und sein Zorn übermannte ihn so sehr, dass er beinah stolperte.
    »Deswegen bin ich weggelaufen, und Sie haben mich nicht erwischt! Weil nämlich Sara mich gewarnt hat! Ja!«
    Er schoss die Mütze in Martins und meine Richtung. Einen Meter von uns entfernt segelte sie zu Boden.
    »Du hast deiner Mutter eine Nachricht hinterlassen«, sagte ich. »Du hast ihr geschrieben, du kommst bald wieder zurück.«
    »Damit sie nicht ausflippt!«, schrie er, kam einen Schritt näher und brüllte mir ins Gesicht: »Und du kannst mich nicht verhaften!« Dann griff er in die Innentasche seines Anoraks, holte seine Plastikpistole hervor und fing an auf uns zu schießen. Er rannte auf und ab und zielte auf unsere Köpfe, silbergraue Hartplastikkugeln schossen aus dem Lauf, und wir mussten die Arme vors Gesicht halten.
    »Tot! Tot! Tot!«, schrie er. »Weg! Los, weg hier!«
    Ich stand auf, sah auf ihn hinunter und stellte mich vor ihn. »Schieß!«, sagte ich. »Schieß auf meinen Bauch! Schieß!«
    Er schoss. Das Magazin war leer. Er starrte mich aus großen schwarzen Augen an, seine Haare waren zerzaust, seine Wangen gerötet, und er presste wieder die Lippen aufeinander, sprachlos vor namenloser Wut.
    Er hatte sich alles nur eingebildet, sein vermeintlicher Vater würde ihn niemals nach Wolfsburg mitnehmen, er würde ihn nirgendwohin mehr mitnehmen, das Band zwischen den beiden, sofern es je bestanden hatte, war zerrissen, Hajo Berghoff war nicht länger bereit, den Vater zu spielen, er wollte weg, für immer. Und von all dem hatte dieser kleine zornige Junge keine Ahnung, seine Mutter hatte ihn von Anfang an belogen, vielleicht hatte sie keine andere Wahl gehabt, doch ihr Plan hatte nicht funktioniert, oder besser: Der Mann, den sie sich zur Umsetzung ihres Planes ausgesucht hatte, funktionierte nicht so, wie sie es sich wünschte. Bestimmt war ihr das bald bewusst geworden, doch sie konnte nicht mehr zurück, das Kind war längst da, und sie hatte ihm eine Legende erzählt, und die Legende musste die Wahrheit bleiben, ob die Hauptfiguren damit einverstanden waren oder nicht.
    Es war Zeit, dass Timo die Wahrheit erfuhr, und ich wünschte, seine Mutter wäre bereit dazu.
    »Mach dir keine Sorgen«, sagte ich. »Du musst deinen Vater nicht begleiten. Du kannst hier bei Sara bleiben.«
    »Du lügst«, sagte Timo.
    »Nein«, sagte ich. »Dein Vater wird allein nach Wolfsburg gehen, das weiß ich.«
    »Woher weißt du das?« Er zielte mit der leeren Plastikpistole auf mich.
    »Von deiner Mama«, sagte ich.
    »Du lügst«, sagte er wieder, den Kopf im Nacken, damit er mir ins Gesicht sehen konnte.
    »Nein«, sagte ich wieder. Sekunden vergingen in Stille. Dann sprang Sara vom Sofa. »Doch lügt der! Der will dich austricksen, merkst du das nicht, du Blödian!« Sie wollte sich auf mich stürzen und schlug mit den Armen durch die Luft, da stand Martin abrupt auf und packte sie an der Schulter.
    »Ruhig jetzt!«, sagte er. »Hör auf damit!«
    Sie zappelte und zuckte und versuchte sich loszumachen. Auch wenn Martin Heuer ein schmächtiger Kerl war, so hatte er verborgene Kräfte, die schon renitente Erwachsene eingeschüchtert hatten.
    »Du tust mir weh!«, schrie Sara. »Lass mich los! Es ist gleich Weihnachten, da muss man nett zu Kindern sein!«
    »Hab ich vergessen«, sagte Martin und umklammerte sie ungerührt. Sie kam keinen Zentimeter von der Stelle.
    »Du musst mit deiner Mama reden«, sagte ich zu Timo.
    »Sie ist traurig darüber, dass sie dich geschlagen hat. Sie hat so viel Arbeit, das weißt du ja.«
    »Ach«, sagte Timo und seufzte. Er ließ den Arm mit der Pistole sinken und blickte zu Sara und blickte an ihr vorbei zum Fenster, hinter dem das Licht weniger wurde.
    »Das macht mir nichts aus. Ich wein bloß immer, weil ich nicht anders kann, das geht von selber. Ich bin ihr nicht bös. Wahrscheinlich würd ich mich auch schlagen.«
    »Warum denn?«, fragte ich.
    »Du bist so ein Feigling!«, sagte Sara und trat nach Martins Beinen, was er nicht einmal zu bemerken schien. Er drückte das Mädchen an sich, und sie schnappte nach Luft.
    »Wie bist du denn, Timo?«, fragte ich.
    »Feig ist er!«, rief Sara. »Wenn ich ihn nicht gezwungen hätt, wären wir jetzt gar nicht hier. Ich hab ihm fünf Ohrfeigen geben müssen, bis er kapiert hat, worums geht. Sein Vater hätt ihn verschleppt, wenn er nicht weggelaufen wär. Und er darf nicht weglaufen…« Sie stemmte sich sinnlos gegen die Umklammerung. »Wir sind
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher