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Süden und das Lächeln des Windes

Süden und das Lächeln des Windes

Titel: Süden und das Lächeln des Windes
Autoren: Friedrich Ani
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geworden?«, fragte Martin nach seinem zweiten Bier.
    Ich wusste es nicht.
    »Ich werd die Pächterin mal fragen«, sagte er. »Trinken wir noch was?«
    »Wir sollten ein kurzes Gespräch mit ihrer Schwester führen«, sagte ich.
    »Wir haben keinen Auftrag.«
    »Das braucht sie ja nicht zu wissen«, sagte ich.
    Die Lothringer Straße im Stadtteil Haidhausen war eine Einbahnstraße mit häuserhohen Pappeln auf der einen und Läden und Lokalen unterschiedlichster Art auf der anderen Seite. Außer einem italienischen Restaurant an der Ecke zur Pariser Straße gab es ein japanisches und gegenüber dem Haus Nummer eins, wo Carola Schild in einer Zahnarztpraxis arbeitete und auch wohnte, ein griechisches.
    »Das Bier müssen wir probieren«, sagte Martin, der unseren Dienstwagen halb auf dem Bürgersteig parkte, weil weit und breit kein Platz frei war.
    In der »Taverna Katerina« wurde Bier aus der Brauerei Erharting ausgeschenkt, die wir nicht kannten.
    Als wir die Straße überquerten, roch die Luft nach Schnee.
    »Sind Sie Frau Schild?«, fragte ich die Frau im weißen Kittel, die hinter der Theke saß und Karteikarten sortierte. Ich zeigte ihr den blauen Dienstausweis, den sie wortlos betrachtete, ehe sie nickte.
    Aus der Toilette kam ein älterer Mann in einem grauen Mantel, den er umständlich zuknöpfte.
    »Heut in einer Woche, Herr Benke, nicht vergessen, ja?«, sagte Frau Schild.
    »Mal schauen«, sagte der Mann.
    »Nicht mal schauen, kommen, Herr Benke!«
    »Ich muss vielleicht verreisen.« Endlich hatte er den letzten Knopf geschafft, er stöhnte erleichtert.
    »Sie müssen nicht verreisen, das weiß ich genau.«
    »Grüß Gott, die Herren«, sagte er zu uns.
    »Grüß Gott«, sagte ich.
    »Grüß Gott«, sagte Martin.
    »Ich trink jetzt erst mal einen Schnaps«, sagte Herr Benke.
    »Das sollten Sie besser lassen«, sagte Frau Schild.
    »Das geht schon in Ordnung«, sagte Martin. Zur Zeit der Prohibition wäre er garantiert Anarchist geworden.
    »Sie haben doch eine Spritze bekommen, Herr Benke« , sagte Frau Schild.
    »Deswegen trink ich einen Doppelten, damit ich was spür.« Mit eingezogenem Kopf verließ er die Praxis.
    »Nie putzen, dann jammern«, sagte Carola Schild. Sie führte uns in ein kleines Büro, wo sie uns Kaffee anbot.
    Wir lehnten ab. Sie goss Kaffee aus einer weißen Kunststoffkanne in eine schwarze Tasse.
    »Viel Zeit hab ich nicht«, sagte sie.
    »Wir auch nicht«, sagte Martin so freundlich, wie es ihm bei seiner umfassenden Ärzteaversion möglich war.
    Ich sagte: »Ihr Neffe ist verschwunden.«
    »Timo?«
    »Haben Sie noch einen anderen Neffen?«
    »Nein«, sagte sie. »Was heißt ›verschwunden‹?«
    »Weggelaufen«, sagte ich. »Seine Mutter hat ihn als vermisst gemeldet.«
    »Susanne?«
    »Das ist ihr Name«, sagte Martin, der den Reißverschluss seiner Daunenjacke aufgezogen hatte, unter der ein dürrer Körper in einem nicht unbedingt blechfrischen Rollkragenpullover zum Vorschein kam.
    »Wann denn?«, fragte Carola. Abwesend stellte sie die Tasse auf den Tisch, ohne daraus getrunken zu haben.
    »Gestern«, sagte ich. »Im Lauf des Nachmittags, anscheinend.«
    »Gestern? Gestern Nachmittag hab ich mit ihr telefoniert, da hat sie nichts davon gesagt, dass sie Timo als vermisst gemeldet hat.«
    »Nein«, sagte ich. »Gestern Nachmittag ist Timo verschwunden, heute hat sie ihn als vermisst gemeldet.«
    »Ach so«, sagte sie.
    Ich schwieg. Martin betrachtete die weißen Schränke und ließ seinen Blick über den Schreibtisch gleiten. Ich sah ihm an, wie unwohl er sich fühlte, er rieb sogar mit dem Finger über seine Zähne, als würden sie anfangen zu schmerzen.
    »Guten Tag, wer sind Sie?«
    In der Tür stand eine schmale Frau um die sechzig, mit kurz geschnittenen roten Haaren und einem kleinen Metallteil in der Hand, das aussah wie eine Bohrnadel.
    »Kriminalpolizei«, sagte Martin, zog mit einer schnittigen Bewegung seinen Ausweis aus der Tasche und machte einen Schritt auf die Frau zu.
    »Das ist Frau Doktor Zwerens«, sagte Carola Schild.
    Die Zahnärztin sah uns an, als wären wir Tempelräuber, die in das Allerheiligste eingedrungen waren.
    »Kennen Sie Timo Berghoff, den Neffen von Frau Schild?«, fragte Martin, seinen Ausweis weiter hochhaltend. Der Anblick einer Autoritätsperson im weißen Kittel versetzte ihn seit jeher in eine Art destruktiver Angriffslust, die er verabscheute und hinterher massiv hinunterspülen musste.
    »Er ist mein Patient«, sagte Dr. Zwerens,
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