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Süden und das Lächeln des Windes

Süden und das Lächeln des Windes

Titel: Süden und das Lächeln des Windes
Autoren: Friedrich Ani
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Polizei zu synchronisieren oder bewusst eine andere persönliche Strategie gegen die sturen Vorschriften der Bürokratie zu entwickeln. Ich versuchte nur, einige Regeln für mein Handwerk herauszufinden und auf ihnen Tag für Tag aufzubauen, seltsam unbeirrt von Zweifeln und Verzweifeln, getrieben vom bescheidenen Hochmut eines Eremiten, der begriffen hat, dass seine Einsamkeit eine Behausung ist wie jede andere, nur eben die ihm vollkommen angemessene. Und das war mein Ziel: Ein mir angemessener Einzelner zu bleiben, in einem Beruf, der auf Teamgeist und ständiger Kommunikation basiert. Und je länger ich meine Funktion als Staatsbeamter erfüllte, desto leichter fiel mir mein Sosein und desto schwerer fiel es den meisten meiner Kollegen mit mir umzugehen.
    »Kann ja alles sein«, fuhr Wieland Korn fort, »aber wahrscheinlich wär es vernünftiger, du würdst dich ans Telefon hängen und die Kollegen selber anrufen. Wie wär das? Praktisch inoffiziell. Hast du eine Ahnung, wie viele Fernschreiben die jeden Tag kriegen, von uns, vom BKA, und von euch auch? Süden, du tust mir und den Kollegen einen großen Gefallen, wenn du erst mal abwartest. Soweit ich das verstanden hab, ist der Kleine ausgebüchst, schlimm, aber normal. Bleib ruhig, Süden, du bist doch lang genug dabei, du weißt, wie solche Fälle ausgehen, erst machen die Eltern einen Aufstand und hinterher wollen sie uns so schnell wie möglich wieder loswerden, weißt du doch alles.«
    »In diesem Fall machen sie keinen Aufstand«, sagte ich.
    »Das ist der Punkt.«
    »Das hab ich kapiert, Kollege. Die Frau hat dich nur angerufen, aber: Ist das kein Aufstand? Du fährst zu der hin, und sie sagt dir nichts. Sie braucht jemand zum Reden, okay, da ist sie bei dir an eine gute Adresse geraten, hat sie Massel gehabt, ein anderer Kollege hätt sich keine fünf Minuten mit der abgegeben. Und jetzt muss ich weitermachen, wir haben hier noch ein paar weggelaufene Weihnachtsmänner, jedes Jahr das Gleiche, kaum wirds Advent, schon brennen bei denen die Sicherungen durch.
    Irgendwie glauben die, vor Weihnachten schaffen sie es abzuhauen, die Frauen heulen und werden hysterisch, die Kinder bringen keinen Ton mehr raus und nach vier Tagen taucht der Gatte wieder auf, volltrunken und stinkend vor Selbsthass. Was willst du da machen? Bist du eigentlich inzwischen verheiratet, Süden?«
    »Nein«, sagte ich.
    »Ich auch nicht«, sagte Korn. »Ich hab eine neue Freundin, die gefällt mir, arbeitet im Landratsamt. Wir haben getrennte Wohnungen, wir treffen uns am Wochenende, das ist das Beste für uns beide. Okay, wenns was Neues gibt, meld dich, und ansonsten: Ruhe bewahren in der Weihnachtszeit!«
    Was hatte ich erwartet? Jedes Jahr stieg die Zahl der Vermissten in den letzten beiden Monaten rapide an, und auch wenn selten dramatische Fälle darunter waren, so mussten wir alle Anzeigen bearbeiten und alle Spuren verfolgen, was gerade bei Kindern und Jugendlichen oft kompliziert war, da deren Freunde, vielleicht aus einer adventlichen Solidarstimmung heraus, noch stärker zusammenhielten als sonst und sich extrem auskunftsunfreudig verhielten.
    Und dann kam ich daher und wollte einen Jungen auf eigene Faust suchen lassen, während die Mutter nichts weiter als einen »Aufstand« machte.
    »Tun sie was?«, fragte Martin.
    »Nein«, sagte ich.
    »Servicewüste, wohin man schaut.«
    In gewissem Sinn war das Landeskriminalamt tatsächlich eine Servicedienststelle für die örtlichen Dezernate. Ohne die Landesbehörde in der Maillinger Straße würde die Arbeit unserer Vermisstenstelle in Chaos versinken oder sich ein Fall über Monate hinziehen, weil wir völlig überlastet wären.
    »Was machst du heut Abend?«, fragte Martin. Ich wusste es nicht.
    »Gehen wir ins Kino?«
    »Warum nicht?«
    »In der Spätvorstellung im ›Arena‹ läuft ›Jackie Brown‹.«
    »Habe ich schon gesehen.«
    »Ich auch. Na und? Großartiger Film, besser als ›Pulp Fiction‹, find ich.«
    »Warum?«
    »Was?«
    »Warum ist er besser als ›Pulp Fiction‹?«
    »Er ist… was Eigenes, kein Abklatsch vom ersten…
    ironisch, witzig, starke Typen…«
    »Verstehe, Cineast«, sagte ich.
    »Und diese Frau, die Schwarze, Pam… Pam…«
    »Pam Prier.«
    »Pam Grier«, sagte eine Stimme hinter mir. In der Tür stand Freya Epp, unsere junge Oberkommissarin mit der roten Brille, hinter deren dicken Gläsern ihre braunen Augen unnatürlich groß wirkten. »Sie heißt Pam Grier. Und wie heißt der Typ, in
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