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Sturmherz

Sturmherz

Titel: Sturmherz
Autoren: Britta Strauß
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brauche dich.“ Meine Stimme wurde vom Sturm verschluckt. Egal. Vielleicht hörte er mich doch. „Ich habe dir ein Versprechen gegeben. Aber ich kann es nicht halten. Ich brauche dich so sehr. Hörst du mich?“
    Das Meer in all seiner gleichgültigen Pracht lag vor mir.
    Die Welt hüllte sich in Schweigen.
    Als sich eine Hand von hinten auf meine Schulter legte, wünschte ich mir, es wäre seine.
    „Mari.“ Mein Vater setzte sich neben mich. „Es tut mir so leid.“
    Er strich mir über das Haar, nahm mich in seine Arme und wiegte mich. So, wie mein Selkie es getan hatte. Vor einer gefühlten Ewigkeit.

Epilog
    Ein Jahr später
    ~ Mari ~
    Das Wasser lockte mich. Wie gern hätte ich mich hineingestürzt, um in seine dunklen Tiefen zu tauchen und auf den Horizont zuzuschwimmen, bis das Tier in mir sich befreite und der Mensch in mir starb. Könnte es nicht sein, dass auch mir das geschah, was Louan widerfahren war?
    Keine Erinnerungen mehr. Nur die Freiheit des Tieres.
    Meine Sehnsucht verhöhnte mich. Dort draußen warteten nicht die Freiheit, sondern Gefahren und Einsamkeit. Louan würde nicht zu mir zurückkehren. Er war längst weit, weit entfernt.
    Ebenso weit entfernt wie MacMuffin.
    Ob es dort, wohin der Fischer gegangen war, auch ein Meer gab? Ein Meer, dem er seine Geschichten erzählen konnte, während er es mit seinem Kutter befuhr?
    Ich hoffte es für ihn.
    Während ich am Saum der Brandung entlanglief, immer wieder die Silbermuschel um meinen Hals berührend, umschwärmten mich die Erinnerungen wie warme Vögel. Die Narbe an meinem Hals schmerzte noch immer und würde es vielleicht noch tun, wenn ich alt und faltig in einem Rollstuhl hockte. Zwei Welten, die sich einander nicht hätten nähern dürfen, waren vereint worden. Und sie waren auch jetzt noch eins.
    Die Kälte konnte mich nicht berühren. Mein Sehnen wuchs mit jedem Tag. Ich wurde zum Tier und blieb äußerlich gleich. Wie lange konnte ich es noch ertragen, ohne dem Ruf zu folgen?
    Ich raffte mein Nachthemd und setzte mich auf einen Felsen. Wer mich beobachtete, musste mich für einen Geist halten. Den Geist einer unglücklichen Jungfrau, die in einem weißen Kleid durch die Nacht schwebt und ihren Liebsten sucht. Ein gewöhnlicher Mensch hätte niemals barfuß durch den Schnee laufen und den eisigen Wind nur mit einem dünnen Nachthemd bekleidet ertragen können. Doch ich tat es.
    Schneeflocken schmolzen auf meinen Händen, ohne dass ich ihre Kälte spürte. Das wirbelnde Tanzen vereinte sich mit dem rauen Meer und der Dunkelheit zu einer Szenerie, die meine Unvollkommenheit zu etwas Unerträglichem werden ließ.
    „Sie brauchen dich.“ Ich murmelte es vor mich hin wie ein Mantra. „Denke daran. Sie brauchen dich. Vergiss, was einmal war. Denk lieber daran, was sein wird.“
    Ich dachte an ein Zitat von Edgar Allan Poe, dass ich gestern gelesen hatte:
    Doch was ist schon ein Traum bei Tag,
    für einen, dessen Blick den Tag nur streift,
    auf seinem Weg in alte Zeit zurück?
    Ich konnte meine Melancholie nicht abschütteln. Nicht einmal an den glücklichsten Tagen.
    Mir wurde schwindelig. Ich bildete mir ein, einen hellen Schatten im finsteren Wasser zu sehen. Ein Schemen, der aussah wie ein geschmeidiges Wesen, gemacht aus Silber und Seide.
    Nur eine weitere Lüge meines dahinsiechenden Geistes?
    Nein, der Schatten teilte das Wasser und kam an Land. Ein Seehund, wunderschön und schlank, mit großen schwarzen Augen und einem Fell wie Satin.
    Mein Herz setzte aus.
    Unmöglich! Doch das Wesen war da.
    War er es wirklich?
    Ich fiel neben ihm auf die Knie. Meine Arme umschlossen seinen nassen, glänzenden Leib.
    Mein Gott.
    Mein Gott. Warum tat er mir das an? Warum tat er mir so weh? Ich würde ihn erneut gehen lassen müssen. Und diesmal würde es mir endgültig das Herz brechen.
    Stumm weinte ich in sein Fell. Meine Finger streichelten ihn, sanft und verzweifelt. Zitternd, ungläubig. Sich in seine Haut grabend, als könnte ich sie ihm vom Leib reißen und den Menschen wiederhervorholen.
    „Geh!“, schrie ich. „Lass mich in Ruhe. Warum tust du das?“
    Er zuckte in meinen Armen. Stöhnte und seufzte. Eine nasse Schnauze glitt über meine Wange. Und dann spürte ich aufplatzendes Fell unter meinen Händen. Blut floss hervor, heiß in der kalten Winternacht. Es besudelte meine Haut und das Weiß meines Nachthemdes. Der Seehund bäumte sich in meiner Umarmung auf. Grausame Schmerzen warfen ihn hin und her, folterten seinen Körper mit
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