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Sturmherz

Sturmherz

Titel: Sturmherz
Autoren: Britta Strauß
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Dad ein Lederband mit einer silbernen Muschel hervor.
„Die hier habe ich am Strand gefunden. In der Hosentasche deiner Jeans.“
    Ich drückte die Muschel an mein Herz. Keine Tränen kamen. Noch nicht. Irgendwann, wenn ich zurück in meinem Zimmer war und alles realisiert hatte, würden sie mich überwältigen. Hinter den Kiefern glänzte das Meer, betupft von Sprenkeln silbernen Mondlichts. Ein Versprechen von Freiheit und Geheimnis.
    Ich würde es lieben, bis zum Ende meines Daseins.
    Genauso wie ihn.
    Wochen später
    „Sture kleine Sprotte.“ MacMuffin bedachte mich mit einem liebevoll-mitleidigen Blick. „Lass es doch gut sein. Was bringt es denn ein, als nur noch mehr Herzschmerz?“
    Ich zuckte die Schultern. Meine Finger spielten mit der silbernen Muschel um meinen Hals. Ich berührte sie, sobald ich aufwachte, und hielt sie in den Fingern, bis ich einschlief. Vielleicht hielt ich sie auch die ganze Nacht lang fest.
    „Ich wünschte, ich könnte es.“
    „Sieh mal.“ Mit einer Hand umfasste er das Steuer, die andere legte er auf meine Schulter. Plötzlich hatte ich das Gefühl, mein Vater stünde neben mir. „Für jemanden wie ihn ist es die beste Lösung. Lass ihn los. Sonst passiert wieder ein Unglück.“
    Für jemanden wie ihn …
    Dad, Olivia und ich waren am Tag nach unserer Rückkehr nach Westray bei dem alten Fischer eingefallen und hatten ihn eingeweiht.
    Es war ein Bedürfnis gewesen. Und eine Notwendigkeit. Angesichts seiner Kollegen, die in gesteigertem Wahn einem silbernen Seehund nachjagten und entschlossen waren, ihn zur Strecke zu bringen, konnte ein Eingeweihter in diesen Kreisen entweder eine Katastrophe bedeuten oder den besten Schutz, den wir Louan geben konnten.
    Falls er überhaupt noch in der Nähe war.
    MacMuffin traf angesichts der Wahrheit nicht der Schlag. Er hörte sich alles an, nickte dann und wann mit dem Kopf, grunzte ein paar Mal und antwortet schließlich, als ich meinen ellenlangen Vortrag schloss, mit einem lapidaren: „Wusste ich’s doch!“
    Fast vier Wochen waren seitdem vergangen. Die Fischer hatten ihre Jagd beendet. MacMuffins Beschwörung, er hätte gesehen, wie Orcas einen silbernen Seehund fraßen, ließ sie in einer Mischung aus Erleichterung und Enttäuschung zurück.
    Die Leidenschaft, die ein Mensch bei der Jagd auf einen vermeintlichen gemeinsamen Feind entwickelte, war erschreckend.
    „Es ist noch nicht vorbei“, sagte ich. „Ich weiß es.“
    „Du hoffst es“, korrigierte er mich. Sein Wollpullover roch nach geräuchertem Fisch, Torffeuer und Pfeife. Alles um uns herum war silbern im Licht der Spätnachmittagssonne. Der Himmel war von geriffelten Wolken überzogen, die ihm den Anschein gaben, er sei der Gaumen eines gewaltigen Wesens. Eine bleiche, elfenbeinerne Sonnenscheibe goss ihr Licht auf das ruhige Meer und bemalte es mit quecksilbernem Glanz. Selbst die Möwen und Fulmars schwebten wie silberne Geister im gespenstischen Licht. Alles war still hinter dem Knattern des Motors.
    Still, einsam und leer.
    Louan …
    Ich rief seinen Namen in Gedanken. So laut und deutlich ich konnte. Ich schrie ihn hinaus in die endlose Weite seiner Heimat, ohne eine Antwort zu spüren. Hatte MacMuffin recht? Jagte ich nur sturen Hoffnungen hinterher? War mein Selkie längst weit, weit weg?
    Ich löste mich aus MacMuffins Umarmung und ging zur Reling. Der Kutter zog einen Schweif aus Gischt hinter sich her, den der stille Spiegel des Wassers gierig in sich aufsog. Als Ruth mir das Messer an die Kehle gehalten hatte, war es meine Todesangst gewesen, die Louan zu mir getrieben hatte.
    Meine Finger strichen über die rote, schmerzende Narbe. Ich starrte in das Wasser hinunter und spürte, wie ich mich vorbeugte.
    „Was bist du doch für ein verliebtes, kleines Spröttchen.“
    MacMuffins Stimme ließ mich zurückzucken. „Wenn du das tust, fische ich dich raus, versohle dir den Hintern und binde dich ans Steuerrad. Komm her zu mir. Sofort.“
    Wie ferngesteuert tat ich es. Das Elend quetschte meinen Magen zusammen. Warum sahen das Meer und der Himmel nur so wunderbar aus? Warum erinnerte ich mich so gut an die kurze Zeit, die ich als Tier verbracht hatte? Zerfressen von Sorgen, doch zugleich berauscht von der Freiheit des Ozeans. Wie herrlich würde es sich anfühlen, sie ohne Angst genießen zu können. An Louans Seite.
    Vereint als Mensch und als Tier.
    Erst gestern hatte ich mit Aaron telefoniert. Seit dem Vorfall sprachen wir oft miteinander, redeten über
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