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Sturmherz

Sturmherz

Titel: Sturmherz
Autoren: Britta Strauß
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wird bewältigt. Jeder bekommt, was er verdient. Wenn jemand sagt, die Filme seine realitätsfern, dann hat er recht. Aber gerade deshalb liebe ich sie.“
    „Vielleicht seid ihr Inder genetisch darauf programmiert.“ Ich hatte völlig unbewusst gesprochen. Meine Stimme erstaunte mich. Sie klang zynisch und zitterte nicht im Geringsten. „Es ist wie ein Drogentrip. Bunt, psychedelisch und surreal.“
    „Darum geht es.“ Aaron grinste. In seinem schwarzen Rollkragenpullover, der Jeans und dem zerzausten, dunklen Haar sah er auf zerstreute Weise gut aus. Keinesfalls wie ein hochdotierter Wissenschaftler.
    Bevor ich Louan kennengelernt hatte, hätte ich mich wohl in ihn verliebt. Wie es Mädchen in meinem Alter gerne und schnell taten.
    Aber wie sollte ich jemals in einem Menschen den Zauber finden, den der Selkie in mir geweckt hatte? Die Welt, die ich erblickt hatte, konnte sich mit nichts messen, dass hier an Land existierte. Kein Kuss würde je so aufregend und meeressalzig schmecken. Keine Berührung würde je ein so magisches Prickeln hinterlassen. Die Erinnerung zu verlieren, wäre der einzige Weg in die Freiheit.
    „Sei nicht traurig“, sagte Aaron. Ein Sahnebart klebte über seiner Oberlippe. „Nein, halt. Was rede ich da? Sei traurig, das ist ja wohl völlig angebracht. Aber denke daran, dass du etwas erlebt hast, wovon alle anderen nur träumen. Viele erfahren nie, was Liebe bedeutet. Viel zu oft schauen wir zurück und nicht nach vorne. Statt in alten Zeiten festzuhängen, sollten wir vorangehen und uns dieser Zeiten in Liebe erinnern.“
    Ich hielt mich an der Tasse fest und starrte ins Leere.
    „Drei Wochen lang war ich verheiratet“, redete Aaron weiter. „Ich habe sie abgöttisch geliebt. Ich habe sie auf Händen getragen und ihr jeden Wunsch erfüllt. Sie war mein Ein und Alles. Mein Herz und meine Seele. Dummerweise beruhte das nicht auf Gegenseitigkeit. Jeden Tag frage ich mich, warum sie mit dieser Erkenntnis bis nach unserer Hochzeit gewartet hat. Sie ließ zu, dass ich das imaginäre Schloss unserer gemeinsamen Zukunft bis zum letzten Stein aufbaute, und erst, als es fertig war, zerstörte sie es bis auf die Grundfesten. Deswegen lebe ich jetzt hier. In einem dunklen, einsamen, verstaubten Gruselhaus.“
    „Vermisst du sie?“, fragte ich.
    „Jeden Tag und jede Nacht. Aber ich denke auch an die Vorteile des Alleinseins. Ich bin mein eigener Herr. Ich tue, was ich will, wann ich es will, wie ich es will. Ich muss mich um niemanden sorgen. Gerade den letzten Punkt habe ich liebgewonnen.“
    „Was willst du mir damit sagen?“
    „Nichts.“ Aaron hob die Schultern und zog eine Grimasse. „Ich sage dir nur, wie es bei mir war.“
    „Ich würde lieber als Tier leben. Alles ist viel einfacher. Geordneter. Das Land ist nicht mehr meine Heimat. Ich …“ Mir kamen die Tränen. „Ich werde nie frei sein, solange meine Füße Erde berühren.“
    „Alles ist Schicksal“, seufzte Aaron. „Jeder hat eine Aufgabe zu erfüllen. Wenn es dir bestimmt ist, an Land zu bleiben, wird das seinen Sinn haben. Und ich hoffe bei Gott, dass mein Zögern ebenfalls einen hat. Sonst muss ich mich erschießen.“
    Ich schloss die Augen. Alles verschwamm in dumpfer Schwärze. Wie lange ich so dasaß, umwölkt von fernem Gesang und undeutlichen Gesprächen, wusste ich nicht. Es fühlte sich an wie Minuten, stattdessen mussten es wohl Stunden gewesen sein. Als es an der Haustür klingelte, herrschte tiefe Nacht. Wie selbstverständlich schlurfte ich mitsamt meiner leeren Kakaotasse zur Tür. Ich erkannte Dads und Olivias Silhouette hinter dem Glas.
    Wenn es dir bestimmt ist, an Land zu bleiben, wird das seinen Sinn haben.
    „Kleines!“ Tränenüberströmt fiel er mir in die Arme, als ich öffnete. Seinen Körper zu spüren, warm, vertraut und zitternd wie Espenlaub, riss den Schleier von meinem Bewusstsein. „Grundgütiger, ich dachte, ich sehe dich nie wieder. Ich habe nach dir gesucht, überall. Olivia hat zu Hause gewartet, falls du kommst, und ich bin überall herumgefahren und habe tausend Leute befragt. Anna hat mir die Karte gegeben, aber da stand nur eine Handynummer drauf, bei der keiner abhob, und in der Universität wollte mir niemand die Adresse verraten. Es tut mir so leid.“
    Wortlos umarmte ich erst ihn, dann Olivia. Ich spürte, dass der gemeinsame Schmerz die Bindung zwischen den beiden noch vertieft hatte. Wir wiegten uns, hielten uns fest, raunten uns Versprechungen zu.
    Irgendwann zog
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