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Sternenfeuer: Vertraue Niemanden: Roman (German Edition)

Sternenfeuer: Vertraue Niemanden: Roman (German Edition)

Titel: Sternenfeuer: Vertraue Niemanden: Roman (German Edition)
Autoren: Amy Kathleen Ryan
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fallen ließ, würde sie ihm vielleicht den Arm abtrennen, aber es war die einzige Möglichkeit, das Gerät zu stabilisieren.
    Als sich der Schleifer schließlich durch das letzte Stück des Metalls hindurchgefräst hatte, legte Waverly ihn ohne Umschweife auf den Boden und öffnete vorsichtig die Zellentür. Sie schwang auf, und ohne darüber nachzudenken, zog Seth seine Retterin an sich.
    »Danke«, flüsterte er in ihr Haar.
    »Das musst du nicht«, sagte sie lallend.
    Er presste sie an sich, spürte den Rhythmus ihres Herzschlags und das schnelle Auf und Ab ihres Brustkorbs, als sie atmete. So lehnten sie einen Augenblick lang aneinander, bis er schließlich nach ihrer Hand griff und sie den Korridor hinunterzog.
    »Ich weiß nicht, ob ich das kann«, sagte sie atemlos. »Es ist so weit.«
    »Halt den Mund«, fuhr er sie an.
    »Aber ich bin so müde.«
    »Das interessiert mich nicht. Beweg dich!«
    Er schob sie die Stufen des eiskalten Treppenhauses hinauf, das im Licht der Notbeleuchtung fremd wirkte, und drängte sie weiter zur Tür in die Lagerhallen. Als er sie öffnete, konnte er kaum fassen, wie kalt es hier war, schob sie aber dennoch in den höhlenartigen Raum hinein. Er würde sie tragen, wenn nötig, obwohl er nicht wusste, ob er die Kraft dafür aufbringen konnte. Es gab nur noch wenig Sauerstoff in der Luft, und es war bitterkalt. Verzweifelt glitt sein Blick über die Container, und er wünschte sich, er wüsste, ob in einem von ihnen Sauerstofftanks gelagert wurden, aber es war töricht, auch nur darüber nachzudenken, nach ihnen zu suchen.
    Er erreichte einen sonderbaren Wahrnehmungsstatus, in dem das Einzige, dessen er sich bewusst war, das Quietschen von Waverlys Schuhen auf dem glatten Metallboden war. Schließlich trübten sich auch die Ränder seines Sichtfelds, bis schließlich nur noch ein heller Fleck direkt vor ihm, am Ende des Gangs aus Containern, blieb. So unendlich weit entfernt. So unerreichbar weit.
    Irgendwann wurde ihm bewusst, dass er Waverly die Arme um die Taille gelegt hatte und sie stützte. Als sie schließlich fiel, ließ er sie zu Boden gleiten, umschloss ihr Handgelenk mit seiner unverletzten Hand und zog sie über den Metallboden, ihrem weit entfernten Ziel entgegen. Sie war so unglaublich schwer – oder er war so unglaublich schwach.
    In seinem Kopf hörte er mit einem Mal ein Lied, das seine Mutter ihm früher immer über eine Spinne vorgesungen hatte. Die erste Zeile kam in Dauerschleife wieder und wieder: »Die winzig kleine Spinne kroch auf den Wasserhahn … Die winzig kleine Spinne kroch …« Es war infantil, widerlich, keifend laut, grauenvoll. Er hasste es und wünschte, es würde aufhören, aber dann stellte er fest, dass er im Rhythmus des Lieds weiterging, und hörte schließlich auf, es zu bekämpfen.
    Wie lange hatte er gebraucht, um sie durch das Containerlager zu ziehen? Er konnte es nicht schätzen. Es hätten zehn Minuten gewesen sein können und ebenso gut zwei Stunden, aber schließlich fand er sich der Tür gegenüber, und als er sie schließlich öffnete, stand er in einem Treppenhaus.
    »Waverly, ich kann dich nicht tragen. Meine Hand …«, sagte er den Tränen nahe. Seine Finger wurden langsam blau, und die Gelenke waren grauenhaft angeschwollen. »Du musst aufwachen, Waverly.«
    Er kniete neben ihr nieder, versuchte sie aufzurichten, zunächst mit vorsichtigem Klopfen auf ihren Brustkorb, dann mit einer saftigen Ohrfeige seiner intakten Hand, aber sie war noch immer bewusstlos, und ihr Atem ging faserig und unstet.
    »Okay«, sagte er atemlos. »Du bist ziemlich mager, habe ich recht?«
    Er legte seinen Arm um ihre Taille und zog sie hoch, lehnte sie gegen die Wand und hob sie mühsam an, bis er sie sich über die rechte Schulter legen konnte. Er umfasste sie mit seiner gesunden Hand und hoffte inständig, dass das ausreichen würde. »O mein Gott«, wimmerte er, und seine gebrochenen Rippen brannten unter ihrem Gewicht vor Schmerzen, aber er begann trotzdem mit dem Aufstieg. Er nahm Stufe um Stufe, hielt nach jeder inne, um auszuruhen. Das Spinnenlied war mittlerweile derart raumgreifend geworden, dass er fast glaubte, es mit seinen Ohren hören zu können – die winzig kleine Spinne … die winzig kleine  … die Stimme seiner Mutter, verwoben mit dem Wind.
    Nach einer, wie es schien, grenzenlosen Anstrengung krachte sein Kopf schließlich gegen etwas Hartes, und als er aufsah, bemerkte er, dass er direkt gegen ein Schott gelaufen
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