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Sternenfeuer: Vertraue Niemanden: Roman (German Edition)

Sternenfeuer: Vertraue Niemanden: Roman (German Edition)

Titel: Sternenfeuer: Vertraue Niemanden: Roman (German Edition)
Autoren: Amy Kathleen Ryan
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Flucht
    S eth Ardvale wusste nicht, was ihn geweckt hatte. Er erinnerte sich nur an ein grollendes Geräusch, das ihm durch Mark und Bein gegangen war. In seinem einsamen Lager in der Arrestzelle tief im Inneren der Empyrean setzte er sich auf und rieb sich die Augen. Dann lauschte er auf Stimmen. Manchmal gelang es ihm, Gesprächsfetzen der Wachen aufzuschnappen, aus denen er Hinweise auf das, was auf dem Schiff geschah, ziehen konnte, aber jetzt war alles still.
    Diese Isolation war ein Teil seiner Strafe, ebenso wie das Licht, das vierundzwanzig Stunden am Tag ohne Unterlass brannte. Mittlerweile war Seth dazu übergegangen zu akzeptieren, dass es vermutlich sehr lange dauern würde, bis er aus dieser Zelle wieder herauskam. Und falls Kieran Alden Captain der Empyrean bliebe, käme Seth vielleicht niemals wieder hier heraus. Er vermutete, dass er es verdiente, eingesperrt zu sein. Nicht nur für die erfolglose Meuterei, die er gegen Kieran angezettelt hatte. Er verdiente es, hier zu sein, weil er war, wie er war. »Ich bin meines Vaters Sohn«, sagte er laut.
    Der Klang seiner eigenen Stimme erschreckte ihn. Er hasste es, dass er begonnen hatte, Selbstgespräche zu führen, aber das war nun einmal der Weg, eine Einzelhaft zu überleben. Er führte auch lange, stumme Dialoge, und stets stellte er sich bei diesen vor, mit ein und derselben Person zu sprechen: Waverly Marshall. Er würde seine Augen schließen und sie auf der anderen Seite der Gitterstäbe seiner Zelle sehen, auf dem Boden sitzend, die Hände um die Fußknöchel geschlungen, das Kinn auf dem Knie. Ihre Unterhaltung begann stets dort, wo sie vor rund einem Monat geendet hatte – damals, nachdem er sie gebeten hatte, ihn aus der Brig zu befreien. Sie hatte ihn nur angesehen, eindringlich und mit Zweifel in ihren dunkelbraunen Augen, der Rest ihrer lieblichen Züge sanft und zugleich ausdruckslos. Er kannte sie gut genug, um zu merken, dass sie ihm nicht vertraute. Und wie sollte sie auch? Nach allem, was er getan hatte?
    »Bring mich hier raus«, hatte er gesagt, gefleht, eine Hand an den kalten Gitterstäben, die sie von ihm trennten.
    Sie hatte ihn lange angesehen und schließlich mit einem langen, tiefen Ausatmen gesagt: »Das kann ich nicht.«
    Und dann war sie aufgestanden und fortgegangen.
    Konnte er ihr daraus einen Vorwurf machen? Er hatte einen Aufstand gegen ihren Freund Kieran Alden angezettelt, hatte ihn in die Brig werfen lassen, ihm Nahrung vorenthalten und – wie manche sagen würden – ihn zu töten versucht. All das hatte für Seth damals einen Sinn ergeben, und es zeigte, wie verrückt er gewesen war. Die Zeit war verrückt gewesen. Aus heiterem Himmel hatte die New Horizon die Empyrean angegriffen, hatte alle Mädchen des Schiffs entführt und ein Leck im Reaktor verursacht, das letztendlich seinen Vater getötet hatte. Doch all das entschuldigte nicht Seths Verhalten. Alle Kinder auf der Empyrean hatten ihre Eltern verloren oder waren von ihnen getrennt worden; auf den Schultern jedes Einzelnen von ihnen lastete die beängstigende Verantwortung, das Schiff ohne einen einzigen handlungsfähigen Erwachsenen an Bord zu steuern. Und Seth allein hatte sich unter ihnen hervorgetan, indem er sich wie ein Soziopath aufgeführt hatte.
    »Vielleicht ist es ja genau das, was ich bin«, flüsterte er und bedeckte seinen Mund gleich darauf mit der Hand.
    Waverly hatte richtig gehandelt, als sie fortgegangen war.
    Und doch lebten in seiner Vorstellung eine Million anderer Dinge, die er zu ihr hätte sagen können, um sie zum Bleiben zu bewegen. »Du hast recht. Das solltest du nicht riskieren.« Oder: »Ich verstehe, dass du Kieran nicht hintergehen kannst.« Oder schlicht: »Geh nicht.«
    Und dann stellte er sich vor, wie sie aussehen würde, wenn sie sich erneut zu ihm umwandte, wie er sie dazu bringen würde, zu lächeln oder gar zu lachen. Wie sie eine Haarsträhne hinter ihr Ohr streichen würde, kurz bevor sie den Blick senkte – eine kleine, schlichte Geste, die ihn jedes Mal mitten ins Herz traf.
    Aber er hatte damals nichts von alledem gesagt. Voller Scham hatte er sie ziehen lassen.
    Wenn er jemals aus dieser Zelle herauskäme, würde er ihr zeigen, dass er ein guter Mensch sein konnte. Dass sie niemals zu ihm gehören würde, war nicht wichtig. Aber er konnte die Vorstellung nicht ertragen, dass sie schlecht von ihm dachte. Und vielleicht, nur vielleicht, würde auch er ihr helfen können. Denn was auch immer mit ihr auf der
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