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Sternenfeuer: Vertraue Niemanden: Roman (German Edition)

Sternenfeuer: Vertraue Niemanden: Roman (German Edition)

Titel: Sternenfeuer: Vertraue Niemanden: Roman (German Edition)
Autoren: Amy Kathleen Ryan
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die Füße zu kommen und zu dem Interkom hinüberzuhumpeln.
    »Sarek«, keuchte sie atemlos, »öffne das letzte Schott.«
    »Waverly«, sagte er, »ich kann nicht.«
    »Müssen wir das wirklich jedes gottverdammte Mal durchexerzieren?«
    »Nein. Du verstehst nicht. Dieses Mal kann ich wirklich nicht.«
    »Wie meinst du das?«
    »Es gibt einen Kurzschluss zwischen der Kommandobrücke und den unteren Ebenen. Die Sensorik reagiert nicht. Ich weiß nicht, wie es hinter dem Schott aussieht. Die Luftverhältnisse, ob dort überhaupt etwas ist …«
    »Aber du kannst die Türen bewegen?«
    Blut rann in ihr rechtes Auge, und sie wischte es zornig fort. »Kannst du nicht einfach die Türen öffnen, und dann sehen wir weiter?«
    »Ich will dich nicht umbringen.«
    »Sarek. Als ein Mitglied des Zentralrats befehle ich dir, dieses Schott zu öffnen.« Erneut trübte Blut ihr Sichtfeld, und sie griff nach dem hauchdünnen Stoff ihrer Jacke und riss einen Streifen davon ab. Während sie ihn sich um den Kopf schlang, schrie sie: »Sarek, es ist mir ernst. Mach jetzt dieses verdammte Schott auf!«
    »Waverly –« Sareks Stimme brach. »Die Shuttles verlassen das Schiff.«
    »Es ist das Letzte, um das ich dich bitte.«
    »Wie wirst du wieder zurückkommen, wenn ich nicht mehr da bin?«
    »Öffne alle Schotten, ehe du gehst.«
    »Das kann ich nicht tun.«
    »Auf dem Weg zurück verschließe ich sie wieder.«
    »Waverly, du opferst das ganze Schiff für das Leben eines Einzelnen.«
    Das brachte sie zum Schweigen. Sie tat etwas Falsches, und sie wusste es. Nichts war wichtiger als die Mission, und das bedeutete auch, dass es nichts Wichtigeres gab als die unendliche Vielzahl der Lebensformen auf diesem Schiff. Und etliche von ihnen hatten kein Gegenstück auf der New Horizon. Ganz zu schweigen von all den Hühnern und Ziegen, den Bienen und Ameisen und Fischen. Sie alle wären dem Untergang geweiht. Aber es war Seth, der dort unten gefangen war. Vielleicht starb er gerade jetzt, in diesem Augenblick. »Er ist ein wichtiger Einzelner«, sagte sie schließlich.
    »Niemand ist so wichtig, dass er ein solches Risiko rechtfertigen würde.«
    »Das gilt aber nicht, wenn es für das Schiff ohnehin zu spät ist. Und das ist es, Sarek.« Sie bearbeitete das Tastenfeld des Interkoms mit ihrer Faust, presste ihre Knöchel auf die Tastenfelder. »Öffne das verdammte Schott!«
    Für eine lange Zeit drang nichts als Sareks Schweigen durch das Interkom, und es währte so lange, dass Waverly bereits dachte, er hätte sie hier zurückgelassen, um zu sterben. Aber schließlich begannen die Türen sich langsam zu öffnen. Zunächst dachte sie, hinter ihnen herrsche ein Vakuum, denn die Luft zischte in rasender Geschwindigkeit durch den Spalt. Aber sie konnte noch immer atmen. Die Luft war dünn wie ein Hauch und eisig kalt, aber sie würde sie am Leben erhalten.
    Sie setzte sich erneut in Bewegung, dem Eingang zu den Lagersektionen entgegen. Sie öffnete das Tor zu den bombastischen Räumlichkeiten, wo die riesenhaften Umrisse aufeinandergestapelter Lagercontainer schmale, tiefe Schluchten bildeten. Die Notbeleuchtung blinkte hektisch und tauchte die Container in ein ätherisches, unstetes Licht. Sie machte sich auf den Weg, humpelte so schnell voran, wie es ihr pochendes Herz erlaubte. Sie konnte spüren, wie das Blut von dem Schnitt im Knie ihr die Socken tränkte, aber sie kümmerte sich nicht darum. Die Schwere ihrer Verletzung war unerheblich. Wenn sie nur Seth erreichte, würde alles wieder in Ordnung kommen.
    Je näher sie der Steuerbordseite kam, desto näher kam sie auch dem klaffenden Loch in der Außenhülle des Schiffs. Sie konnte es spüren, spürte, wie es darauf zu lauern schien, sie zu verschlucken.
    Die Zeit, die sie benötigte, um die riesige Sektion zu durchqueren, erschien ihr wie eine Ewigkeit. Sie wollte rennen. Und einmal versuchte sie es auch, aber schwarze Flecken entstanden vor ihren Augen und begannen zu tanzen. Sie musste innehalten, ausruhen. Wenn sie ihrem Herzen und ihrer Lunge keine Ruhe gönnte, würde sie das Bewusstsein verlieren, und damit wäre niemandem geholfen. Also nahm sie sich Zeit, die Augen fest auf den Ort gerichtet, an dem die Containerreihen in einem spitzen Winkel aufeinanderzutreffen schienen. Was war noch gleich das Wort für dieses optische Phänomen? Aus künstlerischer Sicht betrachtet?
    Der Fluchtpunkt. Sie hielt ihre Augen fest auf den Punkt gerichtet, an dem Zeit und Raum sich aufzulösen,
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