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Blutskizzen

Titel: Blutskizzen
Autoren: Norbert Horst
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MITTWOCH

10 Uhr 22
    Dieses Schreien.
    Der Flur ist leer. Die Tür. Drei Schritte. Thorsten hält Kontakt, seine Schulter schabt am Rücken, heiß, feucht. Durchatmen, zweimal, schneller Blick ins Zimmer. Leer. Nächster Raum, stopp, Konzentration. Na denn. Quick Pic, auch leer. Weiter zum Treppenhaus, fünf Meter. Dieses Schreien. Vorsicht. Thorsten hält weiter Körperkontakt, hat nach hinten alles im Blick, hoffentlich. Vier Schritte, er bleibt dran. Das Schreien wird lauter, furchtbar. Beschlagenes Visier, feuchte Hände, die Waffe rutscht, nachgreifen. Fünf Stufen, der erste Treppenabsatz ist leer. Langsam die nächsten, bloß nicht stolpern. Blick nach oben, der Puls hämmert. Thorsten bleibt mit der Schulter dran, hat kein Problem beim Rückwärtsgehen. Der Putz ist abgeplatzt, schneller Atem. Auf dem nächsten Absatz liegt der Schreier, brüllt um Hilfe, hält sich den Bauch, es tropft rot von seinen Fingern. Die Tür zum ersten Stock steht auf. Vorsicht. Aufpassen, aufpassen. Noch eine, die letzte, ganz langsam. Der Schreier hebt die Hand, flehend, es tropft rot, er krallt ins Hosenbein. Aufpassen. Lass los, verdammt. Er zerrt weiter, reißt, schreit. Vor seinem Bauch eine Lache. Thorsten drückt von hinten, weiter. Nicht so stark, Mann, pass auf! Kurzes Stolpern, Verdammt. Oben ein Schatten, der Täter. Blitzschnell übers Geländer. Nein, nicht. Er schießt zweimal, die Geschosse klatschen auf, Thorsten schreit. Noch ein Schuss, stechender Schmerz zwischen Helm und Kragen, Brennen.
    Aus.
    Der Schreier richtet sich auf, nimmt ein Papiertuch, wischt die Hände ab. Walter kommt die Treppe hoch, winkt ab, schmunzelt.
    »In Wirklichkeit wärst du jetzt tot.«
    Er hilft beim Helmabnehmen, lacht. Der Täter kommt mit dem Videomann von oben, trinkt Mineralwasser, entschuldigender Schulterklaps im Vorbeigehen. Der Videomann übergibt Walter das Band, sie sagen was von Frühstück, verschwinden mit dem Schwerverletzten im Erdgeschoss. Er steckt die Kassette in die Oberschenkeltasche vom Kampfanzug.
    »Üblicher Fehler. Die meisten lassen sich durchs Schreien ablenken.« Walter nimmt die FX-Waffen, überprüft kurz. Thorstens Haare kleben an der Stirn, er reibt sich die Schulter, verzieht das Gesicht. Keine Scheiben in den Fenstern, es zieht, Kälte im Nacken.
    »Wollen wir es uns sofort ansehen oder braucht ihr erst’nen Kaffee.«
    »Ne, ist eh schon so spät. Kaffee kann ich hinterher im Büro trinken.«
    Thorsten stimmt zu.
    Walter geht vor. Im Erdgeschoss hallen die Schritte durch die Leere, Tapetenreste an den Wänden. In der Eingangstür fehlen auch Scheiben, draußen raut der Nieselregen die Oberflächen der Pfützen auf. Zwei Tauben picken auf dem Boden, fliehen beim Näherkommen zielstrebig durch ein Fenster im dritten Stock. Der Rest der Mannschaft sitzt im Grukw, trinkt Kaffee aus Metallbechern, die Standheizung heult leise. Walter schließt den Videowagen auf, Thorsten quetscht sich in den Sitz. Der Recorder verschluckt die Kassette, rewind.
    »So, dann wollen wir mal.« Play.
    Von links ins Bild, Rücken an Rücken, wie ein verkehrtes Tanzpaar. Der Helm sieht ja Furcht erregend aus. Der Täter am rechten Bildrand, steht im Treppenhaus, an die Wand gelehnt, vorsichtiger Blick, lauert. Da war der schon ganz in der Nähe. Er schleicht die Treppe hoch, wartet ab, Waffe im Anschlag. Kameraschwenk. Kontrolle der beiden Räume, Thorstens Kopf bewegt sich ständig von links nach rechts. Das Schreien klingt wie aus der Dose.
    »Bis dahin läuft alles prima, ihr habt’ne volle 360-Grad-Sicherung. Da kann er eigentlich nichts machen.« Walter zeigt auf den Bildschirm.
    Der Kameramann geht ins Treppenhaus vor, kurze, wirre Bilder, dann wieder das Tanzpaar, fast im Gleichschritt die ersten Stufen. Schwenk auf den Täter, er geht am Schreier vorbei, weiter die Treppe nach oben.
    »Der war ja nur eine Treppe über uns, zwei Meter.« Thorsten schüttelt den Kopf, ungläubig.
    »Alles eine Frage der Perspektive«, Walter, den Blick weiter auf dem Bildschirm.
    Das Treppenhaus gleitet von hinten ins Bild, wackelt hin und her. Der Schreier verschwindet am unteren Bildrand. Das Tanzpaar schiebt sich an der Wand lang die Treppe hoch, hektische Kopfbewegungen. Der Schreier erscheint wieder, Blick von oben, er greift ans Bein. Schwenk. Kurz, der Täter, hebt die Waffe, nickt ins Bild. Schwenk. Der Schreier reißt am Hosenbein. So heftig hat der gezerrt, gar nicht gemerkt. Schwenk, wieder der Täter, gibt Zeichen. Jetzt. Zwei
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