Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schlafende Geister

Schlafende Geister

Titel: Schlafende Geister
Autoren: Kevin Brooks
Vom Netzwerk:
1
    Ich beobachtete gerade einen Mann namens Preston Elliot, als ich den Anruf erhielt, der die Geister zurück in mein Leben rief. Elliot war gar nichts, nur so ein Geizkragen aus Essex, der versuchte, sich ein bisschen Geld zu erschleichen. Er hatte einen kleinen Arbeitsunfall gehabt und sich dabei, wie er behauptete, ernstlich am Rücken verletzt. Die Schäden seien dauerhaft und er könne nun fast nichts mehr tun – weder gehen noch Auto fahren noch arbeiten noch schlafen. Im Moment war er langzeitarbeitsunfähig geschrieben und hatte kürzlich Schadenersatzansprüche gegen seinen Arbeitgeber, ein Reinigungsunternehmen namens StayBright, geltend gemacht. Der Versicherungsagent der Firma StayBright hatte daraufhin die Detektei Mercer Associates beauftragt, die Ansprüche zu überprüfen, und Mercer hatte den Fall an mich weitergegeben.
    Deshalb saß ich an einem kalten, regnerischen Oktobermorgen in meinem Wagen und versuchte, wach zu bleiben, während ich Beweise gegen einen Mann namens Preston Elliot sammelte. Wie die meiste Arbeit, die ich mache, war auch diese nicht sonderlich anspruchsvoll. Am Montag hatte ich den Fall übernommen, am Dienstag hatte ich mit einer ersten Observierung begonnen und heute Morgen war ich früh aufgestanden und Elliot gefolgt – von seiner Sozialwohnung in einem niedrigen Häuserblock zu einem heruntergekommenen Reihenhaus in einer schmuddeligen kleinen Nebenstraße im Süden der Stadt. Zwei weitere Männer hatten bereits vor dem Haus in einem weißen Ford Transit auf ihn gewartet – ein gedrungener Rothaariger in einer Jacke mit Schottenmuster und ein langhaariger Teenager mit einem pockennarbigen Gesicht – und die letzte Stunde oder so hatte ich die drei beobachtet, wie sie ins Haus rein- und wieder herausstapften und einen Container mit alten Möbelstücken und verrosteten Heizungen vollluden. Wahrscheinlich entrümpelten sie das Haus, damit es renoviert werden konnte – wobei es für mich keinen Unterschied machte, was sie taten.
    Ich musste nur eins wissen: dass Preston Elliot Auto fahren, gehen, den ganzen Morgen Tische, Schränke und Teppichrollen aus dem Haus tragen und in den Container hieven konnte.
    Ich hatte reichlich Videomaterial. Ich hatte ihn gefilmt, wie er morgens sein Haus verließ und ohne sichtbare Schmerzen oder Beschwerden gehen konnte. Ich hatte gefilmt, wie er in seinen Wagen stieg und durch die Stadt fuhr. Und jetzt gerade filmte ich, wie er eine fleckige alte Matratze auf dem Rücken durch den Regen schleppte.
    Ich schaute auf die Uhr und drückte die Taste meines digitalen Diktiergeräts. »10.47 Uhr«, sagte ich in den Rekorder. »Zielperson arbeitet weiter am Haus. Ende der Überwachung.« Dann stellte ich das Gerät aus, schaltete den Camcorder ab …
    Und genau in dem Moment klingelte mein Handy.
    Ich hatte kein ungutes Gefühl, als der Klingelton losging, keine Vorahnung, die mir sagte, dass dies ein Moment sei, der mich vielleicht immer wieder heimsuchen würde, oder dass ich mich künftig fragen würde, was wohl geschehen wäre, wenn ich den Anruf an diesem Morgen nicht entgegengenommen hätte …
    Nein … nichts dergleichen spürte ich.
    Mein Handy klingelte einfach. Und ich zog es einfach aus der Tasche, schaute auf die Anruferkennung, sah, dass es Ada, meine Sekretärin, war, und ging dran.
    »Hey, Ada.«
    »Wo sind Sie?«
    »In der Crooke Street, unten am Fußballplatz. Ich schließe gerade die StayBright-Sache ab.«
    »Kommen Sie gleich ins Büro?«
    »Ja.«
    »Wie lange brauchen Sie?«
    »Keine Ahnung. Wieso?«
    »Sie haben eine neue Mandantin.«
    »Eine Mandantin?«
    »Ja, Sie wissen schon … das sind diese Leute, die Ihnen Geld geben, damit Sie für sie arbeiten.«
    »Sie sind echt witzig, Ada.«
    »Ich weiß. Jedenfalls ist die Frau hier im Büro.«
    »Was will sie?«
    »Keine Ahnung. Mir wird sie wohl kaum was erzählen. Sie will mit Ihnen reden. Wollen Sie, dass sie später noch mal vorbeikommt, oder soll ich sie warten lassen?«
    »Ja, sagen Sie ihr, sie soll warten. Ich brauch nicht … warten Sie mal eben.«
    Während ich mit Ada redete, war der Rotschopf mit der Schottenjacke aus dem Haus gekommen, in den Ford Transit gestiegen und hatte den Wagen im Rückwärtsgang quer auf die Straße gestellt. Anfangs hatte ich gedacht, dass er einfach irgendwohin wollte – vielleicht Zigaretten holen oder so –, doch als er mitten auf der Straße stehen blieb, den Motor ausmachte und ich sah, wie Preston Elliot aus dem Haus kam
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher