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Schlafende Geister

Schlafende Geister

Titel: Schlafende Geister
Autoren: Kevin Brooks
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versuchen. Sie haben keinen Aufruf im Fernsehen gemacht und auch Annas letzte Wege nicht rekonstruiert. Nichts dergleichen haben sie getan. Stattdessen erzählen sie mir immer wieder, dass so was ständig passiert … und dass sie wenig dagegen tun können, wenn jemand, der über achtzehn ist, verschwinden will , ohne ein Wort zu sagen.«
    »Nun«, sagte ich und versuchte, mitfühlend zu klingen. »Es kommt in der Tat sehr häufig vor, dass junge Leute einfach …«
    »Nein, Mr Craine. Nicht bei meiner Anna.« Mrs Gerrishs Blick fixierte mich jetzt standhaft. »Das würde sie mir nicht antun. Niemals. So ein Mädchen ist sie nicht.«
    Ich machte mir nicht die Mühe, zu fragen, wie sie sich ein Mädchen vorstellte, das seiner Mutter so etwas antun würde . Stattdessen fragte ich sie, was Anna ihrer Meinung nach passiert sein könne.
    Sie schüttelte den Kopf und ich sah, wie ihre Augen langsam feucht wurden. »Ich weiß es wirklich nicht. Ich weiß nur, wenn Anna in Sicherheit wäre, hätte sie mich das wissen lassen.« Sie nahm ein Taschentuch aus ihrer Handtasche und tupfte geziert ihre Augen. »Sie hätte es mich wissen lassen, Mr Craine … glauben Sie mir. Ich kenne meine Tochter. Sie wäre nicht einfach … sie wäre nicht …«
    Es klopfte an der Tür und Ada trat mit einem Tablett und zwei Tassen Kaffee ins Zimmer. Sie kam herüber und stellte das Tablett auf den Schreibtisch. Der Kaffee befand sich in richtigen Tassen mit Untertasse, nicht in den üblichen angeschlagenen alten Bechern, und Ada hatte sogar eine Zuckerdose, Teelöffel, ein kleines Milchkännchen sowie einen Teller mit Keksen dazugestellt.
    »Brauchen Sie sonst noch was, Mr Craine?«, fragte sie und lächelte mich unterwürfig an.
    Ich sah zu ihr hoch und schüttelte den Kopf. »Das ist alles. Danke, Ada.«
    Sie verbeugte sich leicht, dann drehte sie sich um und ging hinaus, wobei sie einen Blick über die Schulter warf und ihren fetten Hintern schwenkte wie das Klischee einer sexy Sekretärin.
    Ich wartete, dass sie die Tür schloss, dann wandte ich mich wieder Mrs Gerrish zu. Sie hatte jetzt aufgehört zu weinen und starrte wieder auf ihre Hände, die in ihrem Schoß lagen und an dem Taschentuch zwirbelten und zupften.
    »Gut, Mrs Gerrish«, sagte ich. »Und was genau soll ich jetzt für Sie tun?«
    Sie schaute zu mir auf und runzelte fast verächtlich die Stirn, so als ob ich ihr die unmöglichste Frage der Welt gestellt hätte. »Ich will, dass Sie meine Tochter finden, Mr Craine.«
    »Warum ich?«
    »Wie bitte?«
    »Wie sind Sie auf mich gekommen? Es gibt jede Menge anderer Detekteien, größere Unternehmen mit mehr Mitteln …«
    »Sie wurden mir empfohlen«, antwortete sie.
    »Von wem?«
    Einen Moment lang wirkte sie unangenehm berührt. »Also, um ehrlich zu sein, Mr Craine … ich war schon bei einigen anderen Detekteien, aber keine wollte mir helfen. Die letzte, bei der ich war, eine Firma namens Mercer Associates, schlug mir vor, Sie zu fragen.« Sie lächelte schmallippig. »Nichts für ungut, Mr Craine, aber wenn Sie mir nicht helfen können, weiß ich wirklich nicht, was ich noch tun soll.«
    Ich nickte und lächelte zurück. »Schon in Ordnung, Mrs Gerrish. Kein Problem. Erinnern Sie sich noch, mit wem Sie bei Mercer gesprochen haben?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Den Namen weiß ich nicht mehr … es war eine junge Frau. Sie sagte, sie selbst würden keine Privatfälle betreuen, sondern nur Firmensachen.«
    Ich nickte. »Und darf ich fragen, warum Sie persönlich vorbeigekommen sind, ohne vorher einen Termin auszumachen?«
    »Ist das wichtig?«
    »Nein, nein … natürlich nicht. Ich bin nur neugierig, das ist alles. Die meisten meiner privaten Mandanten rufen erst an oder treten über meine Website mit mir in Kontakt.«
    Sie schaute wieder nach unten auf ihren Schoß, und als sie weitersprach, wusste ich, dass sie log. »Ja, also … ich hatte eigentlich auch vor, Sie anzurufen, aber dann war ich heute zufällig in der Stadt, um ein paar Einkäufe zu erledigen, und als ich an Ihrem Büro vorbeikam …« Sie zuckte die Schultern. »Na ja, da dachte ich, ich schau einfach rein.« Sie sah zu mir auf. »Ich hatte nicht erwartet, dass Sie das stört.«
    Ich lächelte. »Tut es nicht.«
    »Helfen Sie mir also?«
    Ich weiß nicht, wieso ich nicht Nein sagte. Zumal ich den Auftrag nicht brauchte. Und selbst wenn, hätte mich die Aussicht, für diese merkwürdig reizlose Frau zu arbeiten, nicht begeistert. Es gab noch nicht
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