Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schlafende Geister

Schlafende Geister

Titel: Schlafende Geister
Autoren: Kevin Brooks
Vom Netzwerk:
Lebens. Wieso?«
    »Nun ja, es ist nur … 1993 ist hier etwas Schreckliches passiert. Eine junge Frau wurde ermordet …«
    Ich sagte nichts, starrte sie nur an.
    Diesmal schaute sie nicht weg. »Die Frau hieß Craine … Stacy Craine …«
     
    Im Haus lege ich die Schlüssel auf den Flurtisch und rufe laut: »Stacy! Ich bin’s … Stacy?«
    Keine Antwort.
    Ich schaue auf meine Uhr. Es ist 17.35 Uhr.
    »Stacy!«, rufe ich wieder, gehe in die Küche, dann weiter ins Wohnzimmer. »Wo bist du, Stacy?«
    Ich sollte mir keine Sorgen machen. Sie wird oben sein, ein Nickerchen halten. Der Tag ist drückend heiß, sie ist im fünften Monat schwanger … in letzter Zeit ist sie sehr müde. Genau. Oben wird sie sein. Oben im Bett.
    Und schlafen.
    Nein, ich sollte mir keine Sorgen machen …
    Aber ich mache mir Sorgen.
    Irgendetwas scheint nicht richtig. Ich, die Luft, das Haus … dieser Augenblick. Alles ist verkehrt. In meinem Bauch ist eine schreckliche Kälte. Eine Leblosigkeit in meinem Kopf. Das hier, jetzt gerade … es fühlt sich an wie ein Moment, den ich nie vergessen werde.
    Und jetzt fällt mir etwas halb wieder ein, etwas, das ich gesehen, aber nicht registriert habe, als ich vor einer Minute das Haus betrat, und mit einem schrecklichen Gefühl der Angst gehe ich wieder zurück in den Flur und starre konzentriert den Tisch an … und die halbe Erinnerung bewahrheitet sich. Der Tisch steht leicht schräg … nicht ganz bündig zur Wand … als ob jemand im Vorbeigehen drangestoßen wäre und ihn nicht wieder richtig hingestellt hätte. Und als ich auf den Boden rechts neben dem Tisch blicke, sehe ich etwas, was ich zuvor nicht gesehen habe … den Antilopenkopf. Er liegt auf dem Boden. Unser geschnitzter Antilopenkopf, fünfzehn Zentimeter lang, den wir für fünfzig Pence in einem Trödelladen erstanden haben … die Schnitzerei, die wir als Briefbeschwerer verwenden für alles, was zur Post muss …
    Er liegt auf dem Boden.
    Er sollte nicht auf dem Boden liegen.
    Er gehört auf den Flurtisch. Und wenn einer von uns ihn runterwirft, heben wir ihn immer gleich auf und stellen ihn dahin zurück, wo er hingehört.
    Immer. Ohne Ausnahme.
    Das ist eins von den kleinen Dingen …
    Und jetzt renne ich die Treppe hinauf, so schnell ich kann, und mein Herz pocht und ich schreie lauthals: »Stacy! STACY! STACY!«
     
    »Mr Craine …?«
    Ich schaute hoch.
    Helen Gerrish starrte mich mit einem leicht verwunderten Blick an. »Ist alles in Ordnung mit Ihnen?«
    »Ja … ja, tut mir leid. Was haben Sie gesagt?«
    »Stacy Craine … ich habe mich nur gefragt, weil es doch ein ziemlich seltener Name ist, verstehen Sie … ob sie irgendwie mit Ihnen verwandt war.«
    »Sie war meine Frau«, antwortete ich.
    »Oh … oh, das tut mir schrecklich leid. Ich hoffe, Sie sind mir nicht böse, dass ich gefragt habe … es ist nur … na ja, ich erinnere mich. Es war so eine furchtbare Geschichte.«
    »Ja, das war es.«
    »Tut mir leid, es angesprochen zu haben. Es muss … es muss sehr schwer für Sie sein. Entschuldigung.«
    »Ist schon in Ordnung.«
    »Hat ihn die Polizei je gefunden? Ich meine, den Mann, der es getan hat. Haben sie ihn gefasst?«
    »Nein …«, sagte ich leise. »Nein, die Polizei hat ihn nicht gefasst.«
     

3
    Während Ada die Formalitäten mit Helen Gerrish klärte, öffnete ich meinen Laptop, loggte mich ins Internet ein und googelte »Anna Gerrish«. Es gab nicht so viele Treffer: drei Einträge aus der Hey Gazette , einen aus dem Guardian und einen aus der Daily Mail . Der erste Artikel in der Hey Gazette tauchte unter dem Datum Mittwoch, 8. September, auf – zwei Tage nachdem Anna zum letzten Mal gesehen wurde. Er war der Aufmacher der Titelseite, zusammen mit dem gleichen Foto, das mir ihre Mutter gerade gegeben hatte. Die zwei anderen Artikel waren an den Folgetagen erschienen – der vom Donnerstag stand auf Seite drei und der vom Freitag war auf Seite sieben verbannt worden. Danach gab es nichts mehr. Die Geschichten im Guardian und in der Daily Mail waren beide nur ein, zwei Absätze lang und keine bot irgendetwas, das über die Artikel in der Gazette hinausging.
    Dem Bericht zufolge hatte Anna seit ungefähr achtzehn Monaten als Kellnerin im Wyvern gearbeitet. In der Nacht von Montag, dem 6. September, hatte sie Spätschicht gehabt und um ein Uhr morgens aufgehört. Das war das letzte Mal, dass sie gesehen wurde. Niemand wusste, wohin sie nach der Arbeit gegangen war, ob
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher