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Schlafende Geister

Schlafende Geister

Titel: Schlafende Geister
Autoren: Kevin Brooks
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mal irgendetwas sonderlich Interessantes an dem Fall. Wahrscheinlich bedeutete er nur eine Menge nervtötender Arbeit ohne wirkliche Aussicht auf Erfolg. Und wenn die Polizei, wie Helen Gerrish behauptete, tatsächlich keinen Schritt weitergekommen war, hieß das doch entweder, dass es nichts zu finden gab, oder dass Anna ihrer Überzeugung nach wohl aus eigenem Entschluss abgehauen war.
    Aber trotzdem sagte ich nicht Nein.
    Und selbst jetzt weiß ich noch nicht, wieso.
    Ich öffnete bloß den Mund und hörte mich sagen: »Wenn ich mich entschließe, Ihnen zu helfen, Mrs Gerrish, sollten Sie wissen, dass ich nur wenig tun kann, was die Polizei nicht auch schon unternommen hat. Egal, was Sie von der Polizei halten, ich kann Ihnen versichern, dass sie dort weit mehr Möglichkeiten haben, Menschen zu finden als ich.«
    »Ja, das weiß ich.«
    »Und anders als bei der Polizei gibt es meine Dienste nicht umsonst.«
    »Geld ist kein Problem, Mr Craine. Mein Mann und ich haben genügend Mittel.«
    »Denkt Ihr Mann genauso wie Sie? Darüber, einen Privatdetektiv anzuheuern, meine ich?«
    »Ja, natürlich «, sagte sie ein bisschen zu vehement. »Er wünscht sich genauso sehnlich wie ich, Anna zu finden.«
    Ja? , dachte ich. Wieso ist er dann nicht hier?
    »In Ordnung«, sagte ich und zog einen Block aus der Schreibtischschublade. »Lassen Sie mich zuerst ein paar grundsätzliche Angaben festhalten und dann schauen wir, dass wir einen Vertrag aufsetzen. Ist das okay?«
    Sie lächelte – das erste wirkliche Lächeln, das ich bei ihr sah – und fasste in ihre Handtasche. »Das ist das aktuellste Foto, das ich von Anna habe«, sagte sie und reichte mir einen Farbabzug im Format 11 x 13. »Es wurde vor einem Jahr aufgenommen. Sicher kennen Sie es aus den Zeitungsberichten.«
    Ich fand es ein wenig merkwürdig, dass sie mal eben ein Foto von Anna in der Handtasche hatte, wo sie doch angeblich nur in der Stadt war, um ein paar Einkäufe zu erledigen … doch ich beließ es dabei und konzentrierte mich auf das Bild.
    Helen hatte recht, ich erinnerte mich tatsächlich, es in den Zeitungen gesehen zu haben. Es war ein gestelltes Foto, ein Porträt, Kopf und Schultern, das anscheinend in einem Studio aufgenommen worden war. Anna versuchte, sinnlich und geheimnisvoll zu wirken – sie schaute mit aufgeworfenen Lippen ernst über die Schulter, hatte einen verführerischen Blick aufgesetzt und räkelte sich offenbar auf einem roten Lederdiwan. Das Foto hatte nichts Unprofessionelles oder allzu Billiges an sich, es kam nur nicht so rüber wie beabsichtigt. Anna strengte sich zu sehr an, und obwohl sie recht attraktiv war – Mandelaugen, langes schwarzes Haar, hübsches Gesicht, schöner Mund –, strahlte sie irgendetwas aus, etwas Undefinierbares, das ihr jede Verführungskraft nahm.
    Sie wirkte leer.
    Getrieben.
    Aufgezehrt.
    »Sie war Model«, sagte Mrs Gerrish stolz. »Also … sie hoffte , ein Model zu werden. Davon hat sie immer geträumt.«
    Ich nickte. »Dann lebte sie also nicht davon?«
    »Nein … es ist sehr schwer, da reinzukommen. Und natürlich muss man gewisse Opfer bringen, wenn man es wirklich schaffen will.«
    »Was für Opfer?«
    »Modeln ist ein Job, bei dem man jederzeit zur Verfügung stehen muss, falls sich plötzlich irgendwas ergibt. Also musste Anna immer wieder die besten Arbeitsmöglichkeiten ablehnen, um zeitlich flexibel zu sein.«
    »Verstehe … und wo hat sie dann also gearbeitet, als sie verschwand?«
    Mrs Gerrish zögerte. »Nun ja, es war nur etwas Vorübergehendes, Teilzeit in der Gastronomie …«
    Ich sah sie an und der Stift schwebte über dem Block. »Ich brauch die genauen Angaben, Mrs Gerrish.«
    »Im Wyvern«, sagte sie leise. »Das ist ein Restaurant …«
    Ich kannte das Wyvern und wusste, dass es kein Restaurant war. Es war ein Pub, und zwar einer von der übelsten Sorte. Das einzige Gericht, das einem dort angeboten wurde, war ein Menü harter Drogen.
    »Ich fürchte, die Adresse weiß ich nicht«, sagte Mrs Gerrish. »Aber es ist –«
    »Schon gut«, sagte ich zu ihr. »Ich weiß, wo es ist. Wohnte Anna zu Hause?«
    »Nein, sie hatte ihre eigene kleine Wohnung in der Nähe vom Hafen. Wollen Sie die Adresse?«
    »Ja, bitte.«
    Sie nannte mir die Adresse und ich schrieb sie auf.
    Ich fragte: »Wohnte sie da zur Miete?«
    »Ja.«
    »Was passiert mit der Wohnung? Sind Annas Sachen noch dort?«
    Helen nickte. »Die Miete war letzte Woche fällig … wir haben sie für einen weiteren
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