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Das Haus der Feuerfrau (German Edition)

Das Haus der Feuerfrau (German Edition)

Titel: Das Haus der Feuerfrau (German Edition)
Autoren: Barbara Büchner
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Schnäppchenhäuser sind Spukhäuser
    Mein Name ist Charmion Sperling. Das kaufen mir die meisten Leute nicht ab. Sie finden, mein Vorname, der sich so nach Southern Belle anhört, passe zu meinem bescheidenen Familiennamen wie Bier zur Schokolade und könnte nichts anderes sein als der
nom de plume
einer auf Horrorfantasys spezialisierten Schriftstellerin. Ein Versuch gewissermaßen, so zu klingen, als wäre ich eine Verwandte von Anne Rice.
    Dieselben Leute sind der Ansicht, die Ereignisse im sogenannten „Totenhaus“ in der Larabaya-Straße seien nichts weiter gewesen als ein Publicity-Gag, den Alec Marhold und ich gemeinsam ausgeheckt hätten, um meinen Büchern einen markigen Hintergrund zu verleihen. „Horror-Schriftstellerin lebt in Spukhaus.“ Auf die Idee wäre ich aber niemals gekommen, das schwöre ich. Es war schon entnervend genug, andauernd die platten Witzchen hören und lesen zu müssen, die die Kritiker mit meinem Vornamen trieben: „Charmion ist der Champion.“ Oder: „Charmions Charme bezaubert uns ...“ Da hatte ich keine Lust, mir auch noch schlappe Bonmots über meinen Wohnort anzuhören.
    Nein. Dass Dr. Alec Marhold in der Villa in der Larabaya-Straße 12 A einzog, hatte mit mir und meinen Büchern überhaupt nichts zu tun. Er kaufte das Haus, weil es ihm gefiel und weil er es satt hatte, in der gleichen protzigen „Villa Sandrine“ wie seine fünf erwachsenen Adoptivkinder zu wohnen. Ein Herzinfarkt mit 54 hatte ihn, den ehemaligen Workaholic, daran erinnert, dass seine Zeit begrenzt war, und er hatte sich über Nacht entschlossen, dem aufreibenden Leben eines Strafverteidigers ade zu sagen und nur noch sich selbst und seinen Interessen zu leben. Jetzt wollte er selbstständig sein und mit dem Leben seiner Jungmannschaft so wenig wie möglich zu tun haben.
    „Ich denke nicht daran“, hatte er mir anvertraut, „einer von diesen Seniorchefs zu werden, die erst die Kanzlei in jüngere Hände übergeben und dann den ganzen Tag hustend durch die Büros schlurfen, um zu kontrollieren, ob auch alles richtig gemacht wird. Ich will auch nicht, dass die Kinder sich verpflichtet fühlen, mich zu unterhalten oder zu betreuen. Solange ich topfit bin, will ich leben, wie es mir passt, und mir von ihnen nichts dreinreden lassen.“
    Natürlich war Alec nicht
topfit
– wer ist das schon mit 58? Er musste mit dem Essen aufpassen (und noch mehr mit dem Trinken), er vertrug die Sommerhitze schlecht, und er neigte dazu, um vier Uhr morgens munter zu werden, nachdem er um ein Uhr zu Bett gegangen war. Aber er war, wie man so sagt, gut erhalten – sogar attraktiv, sofern man nicht allzu anspruchsvoll war. Er war eine imposante Erscheinung, ein Kleiderschrank von einem Mann mit silbergrauem Haar und einem kurz gestutzten silbergrauen Vollbart. Die großen, beinahe vorquellenden blauen Augen waren das Auffallendste an seinem Gesicht. Sie waren so von Leben erfüllt, dass er oft einen geradezu aufgeregten Eindruck machte. Obwohl er Beschwerden im Kreuz hatte und sich eines Gehstocks bedienen musste, schien er immer in Eile zu sein, immer drauf und dran, etwas Neues zu entdecken oder sich in ein Abenteuer zu stürzen.
    Als Alec Marhold an meinen 49. Geburtstag in mein Leben trat, erkannte ich sofort, dass ich hier auf einen Mann gestoßen war, der mit dem letzten Drittel seines Daseins noch etwas anzufangen wusste. Er reichte mir die Hand – eine Hand wie eine Löwenpranke und doch zugleich feinfühlig und anmutig – und ich spürte, wie mich ein eigentümlicher Schauer durchrieselte: Genauso, wie ein Pluspol sich fühlt, wenn er einen Minuspol kontaktiert. Obwohl es in dem Fall eher zwei Pluspole waren, denn einen Augenblick später sah ich den Ring, den Dr. Marhold an seiner sonst schmucklosen linken Hand trug: Es war ein schlichter Edelstahlring, an dem sich dort, wo sonst der Stein sitzt, ein winziges, bewegliches stählernes Ringlein befand.
    Unwillkürlich hob ich die Linke, und er sah denselben Ring an meiner Hand.
    Danach dauerte es keine zehn Minuten, bis wir in einem Winkel am Kamin saßen und tief ins Gespräch versunken waren. Ein Gespräch, das ganz anders ablief als mit anderen Männern „im passenden Alter“. Alec redete nicht über urologische Krankheiten. Alec (der seit einigen Jahren verwitwet war) redete nicht über seine verstorbene Frau, obwohl er sie, wie ich später erfuhr, sehr geliebt hatte. Alec äußerte keine Ansichten über Politik. Statt dessen unterhielten wir uns eine
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