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Das Haus der Feuerfrau (German Edition)

Das Haus der Feuerfrau (German Edition)

Titel: Das Haus der Feuerfrau (German Edition)
Autoren: Barbara Büchner
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können.
    Das Haus war also so pedantisch gerade gebaut, als hätte ein Kind es aus Bauklötzchen zusammengesetzt, dennoch wurde ich von Anfang an das Gefühl nicht los, dass es irgendwie aus dem Lot, aus dem Rhythmus geraten war. Es machte bei aller Geradlinigkeit einen schiefen Eindruck, so schief wie das Verrückte Haus im Lunapark, dessen gekippte und verwinkelte Zimmer unmöglich zu durchqueren waren.
    Aus dem Gewirr mehr gefühlter als gesehener Präsenzen um mich löste sich eine, drängte an meine Seite. Kann man ein Gespenst wiedererkennen? Ich war überzeugt, dass es dasselbe Wesen war, das mich im Garten draußen an der Hand gezogen hatte. Jetzt griff es wieder nach mir, schlang die Finger lose in meine. Die Situation fühlte sich genauso an, als sei ich zu Besuch gekommen und ein Kind des Hauses drängte eifrig herbei, um mich mit Beschlag zu belegen – was mir häufig passierte, denn zu meiner eigenen Verwunderung mochten mich Kinder, obwohl ich absolut nichts Mütterliches an mir hatte. Dieses hier (ich war mittlerweile fest überzeugt, dass ich es mit einem Mädchen zu tun hatte) war offenbar sehr angetan von mir. Es hielt mich nicht nur fest, es schmiegte sich auch mit einer schwach fühlbaren Bewegung an meine Seite.
    Links vom Eingang stand eine Türe offen und gab den Blick in ein Zimmer mit heruntergelassenen Jalousien frei, das mit monumentalen, bizarr ausgestalteten Schränken aus dunklem Walnussholz möbliert und mit einer gelblich-braunen Tapete ausgeschlagen war, deren unmöglicher Farbton an Durchfall erinnerte. Eine atemberaubende Unordnung herrschte darin. Zum größten Teil war es ein Durcheinander von Büchern, Disketten und Papieren, die sich in wackligen Stößen rund um eine Computeranlage türmten, aber dazwischen verstreut standen überall gebrauchte Kaffeetassen und benutzte Teller, die verrieten, dass der Besitzer unterm Arbeiten aß und trank – und es sich dabei gelegentlich auf dem Boden bequem machte, denn auf dem Teppich lag ein aufgeschlagenes Buch, das von einem daraufgestellten Trinkglas offen gehalten wurde. (Dass ein
Mann
in dem Zimmer wohnte, war leicht erkennbar, denn die schmuddeligen Kleider- und Wäschestücke, die überall in dem Tohuwabohu verstreut lagen, waren die eines Mannes.) Eine Couch verschwand beinahe unter Ordnern und Mappen, während ein doppelsitziges Sofa als Bett benutzt wurde, aber kein Bettzeug aufwies, sondern nur ein grünes Samtkissen und eine Steppdecke. Auf dem Monitor balancierte ein Teller mit den eingetrockneten Resten eines Mittagessens. Einen zweiten Teller entdeckte ich, halb verborgen hinter den Fransen der erbsengrünen Samtdecke, unter dem Sofa.
    Dem Agenten war dieses extravagante Stillleben peinlich. Er murmelte: „Zur Zeit sind Mieter hier ... vier Personen, um genau zu sein. Aber wenn Sie das Haus kaufen wollen, treffen wir da natürlich ein befriedigendes Arrangement.“
    Das hieß im Klartext: Die armen Teufel wurden hochkant aus dem Haus geworfen, weil sich ein zahlungskräftiger Käufer gefunden hatte! Denn arme Teufel waren es sicherlich. Nur Leute, die sich nichts Besseres leisten konnten, nahmen die skandalösen Mietverträge dieser „Apartments“ in Kauf.
    Ich hatte es kaum gedacht, als ein Mann, der etwa in meinem Alter sein musste, an der Hintertüre auftauchte. Offenbar hatte er im Garten gearbeitet, denn er hielt eine erdige Harke in der Hand. Er trug ausgebeulte, ockerfarbene Cordsamt-Hosen und ein ausgewaschenes Jeanshemd, dessen Ärmel er bis zu den Ellbogen aufgerollt hatte. Da wir in der offenen Tür standen, erkannte er uns wohl nur als schwarze Silhouetten, denn er kam misstrauisch blinzelnd näher. Als er ins Licht trat, sah ich, dass er mittelgroß und von schlanker, wenn auch etwas schlaffer Gestalt war und dichtes, ungebärdiges Haar von einer Farbe wie reifer Kürbis hatte: rot-braun-gold. Vorne war es achtlos aus der Stirn gekämmt, hinten hing es ihm lang und zottellockig über den Hemdkragen.
    Das Gesicht unter diesem Haar war eines, das man nicht leicht vergaß: Derb, mit bäurischen Zügen, aber von lebhaft intelligentem Ausdruck. Es war vom Leben gezeichnet, ja, verhärmt, und doch sprach eine außergewöhnliche Persönlichkeit daraus. Die braunen Augen unter den dicht wuchernden Brauen waren milde, fast seelenvoll, während die vorgeschobene Unterlippe und das feste Kinn ein herausforderndes, sogar streitsüchtiges Naturell verrieten. In seinem groben blauen Hemd erinnerte er mich entfernt an
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