Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Haus der Feuerfrau (German Edition)

Das Haus der Feuerfrau (German Edition)

Titel: Das Haus der Feuerfrau (German Edition)
Autoren: Barbara Büchner
Vom Netzwerk:
romantisch verwildert, teilweise waren sie gerodet und bebaut worden, meist mit dünnwandigen Bungalowsiedlungen und den Glas-und-Beton-Filialen der billigen Einkaufsketten, die dort so verlegen herumstanden wie plebejische Mädchen auf einer Adelsgesellschaft.
    Früher war das alles hier eine Villengegend gewesen, teuer und protzig. Aber als die Steuern und Betriebskosten in schwindelnde Höhen kletterten, wurden immer mehr der pompösen alten Villen aufgegeben. Je länger sie leer standen, desto unerschwinglicher wurde es, sie zu renovieren. Die Hauseigentümer behalfen sich dann meistens damit, dass sie Zwischenwände aus Gipsplatten einzogen und so „Apartments“ schufen, die sie zu billigen Preisen, aber höchst unsozialen Bedingungen vermieteten. Andere ließen die alten Gebäude einfach unbetreut stehen und warteten, bis sie hinreichend verfallen waren, um abgerissen zu werden.
    Wir kamen an einigen solcher Häuserwracks vorbei, die wie gestrandete Gespensterschiffe in ihren verwilderten Gärten lagen, und jedes Mal hoffte ich inständig, dass Alec nicht auf den wahnwitzigen Gedanken gekommen war, eines dieser Mausoleen zu mieten, die im Sommer von Ungeziefer schwirrten und sich im Winter in Eisdome verwandelten. Mir blieb beinahe das Herz stehen, als der Makler den Wagen kurz vor der Kuppe des Hügels anhielt und ich mich einem Koloss aus schwarzem Sandstein gegenübersah, der aus schmutzigen gotischen Fenstern grämlich die Straße anblinzelte. Aber da hatte Alec schon meinen Arm ergriffen und deutete mit großer Geste auf das Nachbarhaus, dessen bleiche Fassade von mehreren hohen Zypressen flankiert wurde: „Da ist es, Mylady. Was sagst du dazu?“
    Ich stieg aus dem Wagen, setzte die Sonnenbrille auf – und sah
mein Zuhause.
    Ein solches Gefühl von
Déjà-vu
überschwemmte mich, dass ich sekundenlang reglos dastand und nicht einmal hörte, was Alec sonst noch schwatzte. Mein gesamtes Leben schien plötzlich einen Strudel zu bilden, und das Zentrum des Strudels war dieses Haus. Aller Vernunft zum Trotz empfand ich es als das Haus, in dem ich geboren worden war, in dem ich erst Kind, dann Mädchen und zuletzt Ehefrau gewesen war und dann die zermürbenden Wochen einer bösartigen Scheidung durchlebt hatte. Ich fühlte, dass ich in diesem Haus gewohnt hatte, als ich den ersten Karton mit frisch gedruckten Büchern über die Schwelle getragen hatte, so stolz wie eine Mutter ihr erstgeborenes Kind. Hier hatte ich den Anruf entgegengenommen, der meinen ersten bedeutenden Erfolg ankündigte. Hier hatte ich einem treulosen Geliebten nachgeschimpft und die Tür ins Schloss geworfen, dass eine Glasraute aus dem Rahmen fiel. Hinter diesen Fenstern, an denen trübselig fleckige Leinenrollos hingen, hatte ich bizarre sexuelle Erfahrungen gemacht. Alles, was ich in den 49 Jahren meines Daseins erlebt hatte, hatte sich in diesem Haus abgespielt!
    „Es gefällt dir wohl nicht?“, fragte Alec neben mir. Ich wusste nicht, ob er mein langes steinernes Schweigen wirklich so deutete oder mich nur daran erinnern wollte, dass ich den
advocatus diaboli
zu spielen hatte.
    Ich nahm mich zusammen. „Sehen wir es uns erst einmal gründlich an, dann reden wir weiter.“
    Der Makler schloss das Gartentor auf und ging uns voran. Ich folgte ihm, und im Augenblick, in dem ich über die Schwelle trat, ergriff etwas Unsichtbares meine Hand! Die Berührung war so unmissverständlich, dass ich verblüfft auf die Stelle starrte, wo das dazugehörige Wesen hätte sein müssen. Aber dort war nichts! Ich starrte die leere Luft an. Und doch lag eine Hand in meiner. Ich spürte, dass es eine kleine Hand war, wie die eines vielleicht fünf- oder sechsjährigen Kindes. Sie hielt mich mit einem gleichzeitig losen und fordernden Griff, als wollte das Wesen etwas von mir, fürchtete sich aber, sein Wollen zu zeigen. Als ich meine Linke ansah, war sie tatsächlich ein wenig nach innen gekrümmt, genauso, als würde sie von Fingern gedrückt.
    Die Hand zog an mir, leise, aber beharrlich, wie Tiere einen an den Kleidern zupfen.
    Da ich vor Überraschung mitten im Schritt stehengeblieben war, starrte der Makler mich mit dümmlich fragendem Ausdruck an, und seine glotzenden Augen bewogen mich, den Mund zu halten und weiterzugehen, als sei nichts geschehen. Sobald ich einen oder zwei Schritte gemacht hatte, ließ das Ziehen an meiner Hand nach – vermutlich war das Wesen zufrieden, dass ich ihm den Willen tat – und das Gefühl, mich in Gegenwart
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher