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Wilsberg 15 - Wilsberg und die Malerin

Wilsberg 15 - Wilsberg und die Malerin

Titel: Wilsberg 15 - Wilsberg und die Malerin
Autoren: Juergen Kehrer
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I
    Tedel van Haaksbergen war so blass wie der wolkenverhangene Julitag, der die Felder und Bäume neben der Straße aussehen ließ, als seien sie mit einem Grauschleier überzogen.
    »Geht's Ihnen gut?«, fragte ich besorgt.
    Der Kunsthistoriker guckte geradeaus und schluckte angestrengt. »Ja. Danke.«
    Wir waren auf dem Weg ins Venner Moor, um ein Bild abzuholen. Ein Gemälde, genauer gesagt, das einem Zürcher Bankdirektor vor einigen Wochen gestohlen worden war. Die Diebe hatten dem Bankdirektor das Bild zum Rückkauf angeboten und er hatte eingewilligt. So etwas kommt häufig vor. Auf dem offenen Kunstmarkt lassen sich gestohlene Bilder nicht verkaufen. Entweder man hat einen Abnehmer, der sich heimlich an der illegalen Kunst erfreut, oder man einigt sich mit dem rechtmäßigen Besitzer und seiner Versicherung.
    Eigentlich ein Routineauftrag, zumindest für einen erfahrenen Privatdetektiv wie mich. Aber ich hatte nun mal keine Ahnung von Kunst. Dafür war Tedel van Haaksbergen zuständig. Er arbeitete als Wissenschaftler am Kunsthistorischen Institut der Westfälischen Wilhelms-Universität und sollte die Echtheit des Gemäldes prüfen. Der Bankdirektor hatte ihn, ebenso wie mich, telefonisch engagiert. Und so saßen wir jetzt zusammen in meinem Wagen und fuhren zum Venner Moor.
    Van Haaksbergen rutschte tiefer in den Sitz und schluckte erneut. Sein vor Aufregung schweißfeuchtes Gesicht ließ mich um seinen Kreislauf und die Erfüllung unseres Auftrags fürchten. Die Vorauszahlung des Bankdirektors war überaus großzügig gewesen. Doch was sollte ich machen, wenn der Kunsthistoriker kollabierte, bevor er das Gemälde zu sehen bekam? Vermutlich war er kriminellen, gewaltbereiten, zu allem entschlossenen Menschen bisher nur in Fernsehfilmen oder im Kinosaal begegnet. Falls überhaupt. Seine zarten Gesichtszüge, die wenigen, sorgfältig geföhnten Haare und die Designerhornbrille sprachen dafür, dass er sich lieber höhergeistigen Genüssen zuwandte.
    »Schauen Sie mich nicht dauernd an!«, knurrte van Haaksbergen.
    »Entschuldigung«, sagte ich. »Ich frage mich, ob Sie das durchstehen.«
    »Achten Sie lieber auf die Straße!«
    Tatsächlich hätte ich fast das Schild übersehen, das mich zum Bremsen zwang. Auf der rechten Seite, etwas abseits des Kappenberger Damms, auf dem wir nach Süden fuhren, bildeten die Gebäude des Alexianer-Krankenhauses eine Trutzburg für psychisch Kranke, die in ihrer abgeschotteten Welt lebten. Einige alte Männer, offenbar Patienten, standen aufgereiht an einer Bushaltestelle. Ich zweifelte daran, dass sie auf den Bus warteten. Wahrscheinlich genossen sie einfach das Gefühl, nur eine Fahrkarte vom wirklichen Leben entfernt zu sein.
    Als das Krankenhaus im Rückspiegel auftauchte, beschleunigte ich wieder. Auf der rechten Seite erstreckte sich jetzt ein Wald. Am Ende der schnurgeraden Fahrbahn sah ich schon die Brücke, die über den Dortmund-Ems-Kanal führte. Dahinter begann das Venner Moor.
    »Halten Sie mal an!«, würgte van Haaksbergen.
    Ich fuhr auf den Standstreifen und stoppte. Van Haaksbergen lief gebückt zum Wald und kotzte den erstbesten Baumstamm voll. Ich schaute auf die Uhr. Noch eine Stunde bis zum vereinbarten Treffen mit den Kunstdieben. Irgendwie musste ich es schaffen, dass der Kunsthistoriker seine Nerven in den Griff bekam. Den Job in den Sand zu setzen wäre einfach zu ärgerlich gewesen. Wer wusste, ob sich die Diebe auf ein weiteres Treffen einließen und der Bankdirektor mir eine zweite Chance einräumte.
    Ich stieg aus und steckte mir einen Zigarillo an. Van Haaksbergen spuckte immer noch. Ich wartete, bis er seinen Magen komplett entleert hatte, bevor ich zu ihm hinüberging.
    Er wischte sich den Mund mit einem Taschentuch ab. »Lassen Sie mich in Ruhe!«
    »Hören Sie!«, sagte ich. »Das ist völlig normal. Als ich das erste Mal in eine gefährliche Situation kam, habe ich auch gekotzt.« Das war zwar gelogen, aber es baute ihn hoffentlich auf.
    »Ach ja?« Er richtete sich auf. »Und inzwischen sind Sie ein eiskalter Hund geworden, was?«
    »Quatsch. Ich bin genauso nervös wie Sie. Beinahe zumindest.«
    »Ich kann das nicht«, jammerte er. »Für so was bin ich nicht geeignet. Ich werde Gessner das Honorar zurücküberweisen und fertig.«
    »So kurz vor dem Ziel?«, protestierte ich. »Das wäre doch verrückt.«
    »Wollen Sie es schriftlich, Herr Wilsberg? Ich mache nicht mehr mit.«
    »Wir haben noch Zeit genug«, versuchte ich ihn zu
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