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Wilsberg 15 - Wilsberg und die Malerin

Wilsberg 15 - Wilsberg und die Malerin

Titel: Wilsberg 15 - Wilsberg und die Malerin
Autoren: Juergen Kehrer
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geübten Bewegungen einen Scheck aus.
    »Ich habe im Limmathaus ein Zimmer für Sie reservieren lassen«, sagte er, als er mir den Scheck überreichte. »Ein gutes Mittelklassehotel am Limmatplatz, sehr zentral gelegen.« Er zwinkerte mir zu. »Ganz in der Nähe befindet sich die Langstraße, das Verruchteste, was die Schweiz zu bieten hat.«
    »Sie kennen offenbar die geheimen Wünsche deutscher Privatdetektive«, bemerkte ich bissig.
    »Nun«, er lächelte, »Sie können sich auch am Ufer der Limmat ergehen oder das Großmünster besichtigen. Wir Zürcher sind ein bisschen stolz darauf, in einer kleinen Weltstadt zu leben. Zürich besteht nicht nur aus der Bahnhofstraße mit ihren Banken und teuren Boutiquen. In Zürich gibt es alles, was es auch in Amsterdam, Paris oder London gibt, nur eben eine Nummer kleiner. Im Grunde ist Zürich so unschweizerisch, dass seine Bewohner am liebsten in einem anderen Land leben würden. Mit dem Kuhglocken-Alpenidyll und dem sauberen Käse- und Schokoladenimage haben wir nichts gemein.«
    »Und was sagen die Schweizer dazu?«, fragte ich.
    »Die Schweizer mögen uns genauso wenig wie wir die Schweizer. Deshalb haben sie ja das provinzielle Bern zur Hauptstadt gemacht und nicht die größte und bedeutendste Stadt. Die Schweizer halten uns für arrogant. Es gibt sogar einen Ausdruck dafür: Zürchismus.« Er gab mir die Hand. »Ich hoffe, Sie genießen den kurzen Aufenthalt. Und kommen Sie gut nach Münster zurück!«
    »Danke«, sagte ich und machte mich auf den langen Weg zum Eingang. Das Bild, dessentwegen ich die Reise unternommen und für das er mehr als zwanzigtausend Euro bezahlt hatte, war Gessner so unwichtig gewesen, dass er kaum einen Blick darauf geworfen hatte. Auch hatte er sich nicht nach den Dieben und dem Ablauf der Übergabe erkundigt. Die Frau des Bankdirektors, deren Großvater das Porträt darstellte, war schon lange tot. Da drängte sich zwangsläufig die Frage auf, warum Gessner eigentlich gezahlt hatte. Vielleicht konnte mir ja Nora Gessner darauf eine Antwort geben. Ich ging langsamer und schaute mich um, aber von der Tochter des Bankdirektors war nichts zu sehen.
    Als ich die Haustür erreichte, beschloss ich, dass es sich nicht lohnte, über Dinge nachzudenken, für die ich nicht bezahlt wurde. Nach mehr als zehn Jahren Privatdetektivarbeit wusste ich, dass es Fälle gab, die mit einem faden Beigeschmack endeten, weil ich nicht alle Rätsel gelöst hatte. Andererseits waren zehntausend Euro genug Schmerzensgeld für meine unbefriedigte Neugier. Ich zog die Tür hinter mir zu und trat in die Sonne.
    Nachdem ich mein Gepäck im Hotel deponiert hatte, bestätigte ich Gessners Vorurteil und besichtigte die Langstraße. Sie war laut, schmutzig und roch alle paar Meter nach einer anderen, in einem weit entfernten Land beheimateten Küche. Auf den schmalen Bürgersteigen tummelten sich Menschen, die Drogen oder sich selbst verkauften oder an einem von beiden Interesse hatten. Auf brave Schweizer musste dieser Sündenpfuhl tatsächlich wie ein Schock wirken. Er passte so gar nicht zu dem Bild der bescheidenen kleinen Alpenrepublik.
    Nach einer Viertelstunde hatte ich davon genug und schlenderte mehr oder weniger ziellos nach Süden, bis ich das städtebauliche Kontrastprogramm, die Finanzpaläste der Bahnhofstraße, erreichte. Inzwischen war es Abend geworden und ich verspürte das Bedürfnis, mich zu setzen und etwas typisch Schweizerisches zu essen, thailändische, brasilianische oder russische Restaurants gab es schließlich auch in Münster.
    Jenseits der Limmat, in den engen kopfsteingepflasterten Gassen der Altstadt, wurde ich fündig. Hier reihte sich ein Restaurant an die nächste Bar. Gerade als ich feststellte, dass zumindest die Preise in Zürich absolutes Weltniveau haben, klingelte mein Handy.
    »Nora Gessner. Erinnern Sie sich noch an mich?«
    »Warten Sie!«, sagte ich. »Ich glaube, Sie trugen Blau und die deutschen Soldaten Grau. Oder verwechsele ich das mit Casablanca? «
    Sie lachte. »Haben Sie schon zu Abend gegessen?«
    »Ich stehe kurz davor.«
    »Dann schieben Sie Ihren Hunger noch etwas auf. Ich lade Sie ein. Auf der Nordseite des Zürichsees gibt es ein nettes Fischrestaurant, gleich neben dem Freibad. Ich werde einen Tisch reservieren. Sagen wir: in einer Stunde?«
    Natürlich stimmte ich zu. Warum sie mich treffen wollte, hatte sie nicht gesagt. Die Gessners schienen nicht gern über ihre Motive zu reden. Allerdings glaubte ich nicht,
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