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Wilsberg 15 - Wilsberg und die Malerin

Wilsberg 15 - Wilsberg und die Malerin

Titel: Wilsberg 15 - Wilsberg und die Malerin
Autoren: Juergen Kehrer
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blieb nichts anderes übrig, als sie wieder zu Hause aufzunehmen. Er versuchte sie zu einer Therapie zu überreden, aber während der Therapiestunden sagte sie kein einziges Wort. Als sie nicht mehr schulpflichtig war, weigerte sie sich, weiter zur Schule zu gehen, obwohl sie keinen Abschluss hatte. Mein Vater akzeptierte auch das. Er richtete ihr sogar ein Atelier ein.«
    »Sie malt?«, fragte ich.
    »Ja. Das heißt, sie arbeitet mit Farben und anderen Materialien, eine Mischung aus Malerei und Collage. Großformatige, grelle, abstrakte Bilder von wilder Ausstrahlungskraft. Ich liebe ihre Bilder, obwohl ich nicht weiß, ob sie einen künstlerischen Wert haben. Wenn Lena malt, verwandelt sie sich. Sie wird ruhig und arbeitet konzentriert. Sie mag es nicht, wenn man ihr dabei zuschaut. Ich habe sie ein paarmal durchs Fenster beobachtet und gesehen ...« Nora verstummte und schaute zur Seite. »Entschuldigung!« Sie wischte sich über die Augen.
    »Dafür müssen Sie sich nicht entschuldigen«, sagte ich.
    »Jetzt fange ich schon an zu flennen.«
    »Das macht Sie nicht hässlicher.«
    Sie lächelte. »Sie mögen das vielleicht, ich aber nicht.« Sie nahm einen Schluck Wein. »Ich habe gesehen«, fuhr sie mit fester Stimme fort, »dass Lena unter der stacheligen Oberfläche ein liebenswertes Mädchen geblieben ist. Ich möchte, dass Sie sie finden.«
    »Denken Sie denn, dass sie sich in Münster aufhält?«
    »Zumindest war sie in den letzten Wochen dort.«
    »Das wird nicht einfach«, bremste ich ihren Optimismus. »Münster ist keine Kleinstadt. Außerdem kann sie längst woanders sein.«
    »Versuchen Sie es!«, bat Nora. »Ich bezahle Ihre Arbeit.«
    »Gut.« Ich schnippte Zigarrenasche in den Aschenbecher. »Mal angenommen, ich finde sie tatsächlich: Was soll ich ihr sagen?«
    »Dass sie zurückkommen soll. Lena ist psychisch labil. Sie braucht Hilfe. Wenn sie so weitermacht, kommt sie ins Gefängnis oder wohin auch immer.«
    »Nach allem, was Sie über Lena erzählt haben, glaube ich nicht, dass sie mir zuhören wird. Ich kann ihr schlecht Handschellen anlegen, oder?«
    »Das sollen Sie auch nicht. Sagen Sie ihr, dass ich ... dass wir sie lieben. Mein Vater nimmt ihr den Diebstahl des Gemäldes nicht übel. Er wird ihr verzeihen, wie er es immer getan hat.«
    »Warum hat sie ausgerechnet das Porträt von Walter Egli gestohlen?«, fragte ich.
    »Ach«, Noras Gesichtsausdruck wurde bitter, »das ist typisch Lena. In unserem Haus gibt es jede Menge Bilder und einige davon sind viel wertvoller als der Pankok. Dass sie ihn mitgenommen hat, ist ihre Art, uns zu zeigen, wie sehr sie die Familie ablehnt. Walter Egli war der Sohn von Otto Egli, der zusammen mit Wilhelm Schaaf die Privatbank Egli & Schaaf gegründet hat. Walters Sohn, mein Großvater, hat die Bank übernommen und dann wäre sein Sohn an der Reihe gewesen. Doch zum Leidwesen meines Großvaters bekam er nur zwei Töchter und die wollten oder konnten die Bank nicht leiten. Also musste meine Mutter einen Mann heiraten, der den Vorstellungen meines Großvaters entsprach. Mein Vater hatte in einer großen Schweizer Bank schnell Karriere gemacht. Er brachte kein eigenes Vermögen mit, dafür das nötige Wissen.«
    »Ihre Mutter wurde verkuppelt?«, wunderte ich mich. »Und das vor ...«, ich schätzte das Alter meines Gegenübers und zog ein, zwei Jahre Höflichkeitstoleranz ab, »... fünfundzwanzig Jahren in der Weltstadt Zürich?«
    Sie verzog spöttisch den Mund. Ob über meine Frage oder ihr geschätztes Alter war nicht auszumachen. »Natürlich nicht. Meine Mutter hatte einen großen Sinn für Familientradition. Sie verliebte sich praktischerweise in den richtigen Mann.«
    »Und was ist mit Ihnen?«, erkundigte ich mich.
    »Ob ich die Bank übernehmen werde?« Sie schüttelte den Kopf. »Garantiert nicht. Zum Glück leben wir mittlerweile im einundzwanzigsten Jahrhundert. Ich studiere Literaturwissenschaft und werde bestimmt keinen Banker heiraten.«
    Ich legte den abgebrannten Zigarrenstummel in den Aschenbecher. »Haben Sie eine Idee, wo ich mit der Suche beginnen kann?«
    »Nein. Ich weiß nur, dass Lena ohne ihre Kunst nicht leben kann. Sie wird malen und dafür braucht sie einen Raum.«
    »Das könnte ein Anhaltspunkt sein«, stimmte ich zu.
    Nora öffnete ihre Handtasche und zog mehrere Fotos heraus, die sie über den Tisch schob. »Hier. Das sind drei ihrer Objekte, etwa zwei mal zwei Meter groß.«
    Ich betrachtete die Collagen und fragte mich, ob
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