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Wilsberg 15 - Wilsberg und die Malerin

Wilsberg 15 - Wilsberg und die Malerin

Titel: Wilsberg 15 - Wilsberg und die Malerin
Autoren: Juergen Kehrer
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gemeint war. Abgesehen vom Dienstpersonal bekamen hier wohl nur Millionäre ein Bleiberecht, Normalverdiener mussten sich mit einem Tagesvisum für Ausflüge begnügen.
    Bei der Schiffsanlegestelle bog ich von der Küstenstraße ab und folgte einer schmalen Straße, die sich in Serpentinen den Berg hinaufschlängelte. Je höher ich kam, desto weiter entfernten sich die Villen von der Straße, zumeist versteckt hinter dichtem Grüngewächs. Parkplatzprobleme waren hier gänzlich unbekannt, wer unbedingt unter freiem Himmel parken wollte, tat das auf seiner eigenen Auffahrt.
    Auch die Gessners verfügten über einen Privatparkplatz, allerdings war ihr Anwesen mit geschätzten tausend Quadratmetern Wohnfläche nahezu bescheiden im Vergleich zu einigen Nachbarhäusern. Ein weißes nüchternes Gebäude im Bauhausstil der Dreißigerjahre, mit flachem Dach und großen bläulich verspiegelten Fenstern. Einzig ein großer in Stein gehauener Fisch, der über der Eingangstür mit offenem Maul nach etwas schnappte, was außer ihm keiner sah, durchbrach die schlichte Fassade.
    Eine junge Frau mit kurzen blonden Haaren öffnete die Tür.
    »Wilsberg«, sagte ich. »Ich möchte zu Jean Gessner.«
    Sie schaute erst mich, dann die schmuddelige graue Wolldecke an, hinter der sich Walter Egli versteckte. »Sie sind bestimmt der Privatdetektiv.«
    »Richtig.«
    Sie streckte ihre Hand aus. »Nora Gessner. Das da«, sie zeigte auf das Bild, »ist mein Urgroßvater.«
    Nachdem ich auf dem letzten Teil der Strecke der Moderatorin eines deutschschweizerischen Radiosenders zugehört hatte, ohne allzu viel zu verstehen, erstaunte mich ihr akzentfreies Hochdeutsch.
    »Wir lernen Hochdeutsch in der Schule«, lachte sie, während wir auf gefliesten oder mit Parkett belegten Fluren in die hinteren Regionen des Gebäudes wanderten. »Die meisten jungen Schweizer schämen sich für das schreckliche Deutsch, das unsere Politiker sprechen. Aber wenn Sie wollen, kann ich auch Schwizerdütsch reden.«
    »Lieber nicht«, wehrte ich ab. »Meine Schweizkenntnisse beschränken sich auf die Autobahn von Basel nach Chiasso.«
    Sie blieb vor einer Tür stehen und klopfte kurz an das Holz, bevor sie die Klinke herunterdrückte. »Papa! Herr Wilsberg ist da.«
    Zum Abschied schenkte mir Nora Gessner ein freundliches Lächeln. Dass die drei Minuten, die wir uns kannten, ausgereicht hatten, sie sympathisch zu finden, war die zweite Sache, die mich erstaunte. Aber da ich nicht vorhatte, mir an der Goldküste ein Haus zu kaufen, die Chance, ihr zufällig zu begegnen, also sehr gering war, nahm ich mir vor, nicht weiter darüber nachzudenken.
    Der Raum, den ich betrat, war ein großes Arbeitszimmer mit hellen Möbeln und einem unbezahlbaren Ausblick auf den tiefblauen, weit unten in der Sonne liegenden Zürichsee.
    »Schön, nicht?«, sagte Jean Gessner. Er trug ein rosafarbenes Polohemd und grau melierte Haare.
    »Nette Wohngegend«, stimmte ich zu.
    »In Mitteleuropa gibt es kaum etwas Vergleichbares.« Im Unterschied zu seiner Tochter hatte er einen leichten, kehligen Akzent.
    »Vermutlich brauchten Sie mehr als einen Bausparvertrag, um sich das zu kaufen.«
    Er lachte. »In der rosa Villa, an der Sie vorbeigefahren sind, haben Thomas Mann und seine Frau gewohnt. Max Frisch und C. G. Jung haben hier lange gelebt und sich von Spaziergängen im Küsnachter Tobel inspirieren lassen. Sie befinden sich auf höchst literarischem Boden. Und das, was an Vermögen im Umkreis von einem Kilometer versammelt ist, übersteigt das Bruttosozialprodukt etlicher afrikanischer Staaten. Glauben Sie mir, unser Einfluss ist groß genug, um zu verhindern, dass irgendein Neureicher die Aussicht verbaut.« Gessner nahm mir das Bild aus der Hand und schlug die Wolldecke zurück. »Der Großvater meiner Frau hat das Haus erbauen lassen. Walter Egli war ein großer Förderer zeitgenössischer Kunst. Der architektonische Entwurf stammte übrigens von Bernhard Pankok. Das Porträt war sozusagen ein Nebenprodukt ihrer geschäftlichen Beziehung.«
    »Dann wird sich Ihre Frau sicher freuen, dass das Bild wieder da ist«, vermutete ich.
    Gessners Augen verengten sich für einen Moment. »Meine Frau ist tot.«
    »Das tut mir Leid.«
    »Sie ist vor über zehn Jahren gestorben. Wie möchten Sie die zweite Hälfte Ihres Honorars: als Überweisung, Scheck oder in bar?«
    »Scheck«, entschied ich. »Zahlen mit einigen Nullen haben so etwas Sinnliches.«
    Er ging zu seinem Schreibtisch und stellte mit
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