Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Friseur und die Kanzlerin

Der Friseur und die Kanzlerin

Titel: Der Friseur und die Kanzlerin
Autoren: Eduardo Mendoza
Vom Netzwerk:
1
EIN STAR TRITT AUF
    Es klingelte. Ich machte auf. Hätte ich es doch nie getan. Vor der Tür fuchtelte ein Postbeamter wild blickend und verwegen gestikulierend, beides in langen Jahren eisernen Drills durch unmenschliche Unteroffiziere erworben, mit einem an meinen Namen und meine Adresse gerichteten Einschreibebrief. Bevor ich den Umschlag entgegennahm, mich auswies und die erforderliche Unterschrift leistete, versuchte ich mit dem Hinweis zu kneifen, hier wohne niemand dieses Namens, und hätte jemand dieses Namens hier gewohnt, so wäre er jetzt tot, und überhaupt, der Verstorbene sei vorige Woche in Urlaub gefahren. Es half alles nichts.
    Also unterschrieb ich, trollte sich der Briefträger, öffnete sich der Umschlag (mit meiner Hilfe) und verblüffte es mich, darin eine Glanzpapierkarte zu finden, mit der mich Seine Magnifizenz, der Rektor der Universität Barcelona, zur Investitur von Dr. Sugrañes zum Doktor honoris causa einlud, einem auf den 4. Februar des laufenden Jahres in der Aula dieser altehrwürdigen Lehranstalt anberaumten Akt. Unter dem gedruckten Text erläuterte ein handschriftlicher Zusatz, die Einladung werde mir auf ausdrücklichen Wunsch des zu Ehrenden zugestellt.
    Dass sich Dr. Sugrañes trotz der seit unserer letzten Begegnung verstrichenen Zeit an mich erinnerte, war doppelt verdienstvoll. Zunächst, weil sich in seinem Gedächtnis gelegentlich altersbedingte Lücken, ja Abgründe auftaten. Und zweitens, weil er sich nicht nur an mich erinnerte, sondern es voller Zuneigung tat. Ehrlich gesagt konnten wenige Menschen ein getreueres Zeugnis seines ausgedehnten Berufslebens ablegen als ich, denn – falls sich der Schilderung dieser Abenteuer ein Leser anschließt, der mein Vorleben nicht kennt – in der Vergangenheit war ich ungerechtfertigterweise, was jetzt nichts zur Sache tut, in einer Strafanstalt für geistesgestörte Gesetzesbrecher eingesperrt, und diese Anstalt wurde auf Lebenszeit und mit unzimperlichen Methoden von Dr. Sugrañes geleitet, weshalb es zwischen ihm und mir, kaum erstaunlich, zu geringfügigen Missverständnissen, leichten Meinungsverschiedenheiten und einigen physischen Aggressionen kam, bei denen ich fast immer den Kürzeren zog, obwohl ich ihm einmal die Brille zerbrach, ein andermal die Hose zerriss und ein drittes Mal zwei Zähne ausschlug.
    Am wahrscheinlichsten jedoch war, sagte ich mir, nachdem ich die Einladung wieder und wieder gelesen hatte, dass Dr. Sugrañes seine Laufbahn beschließen wollte, ohne demjenigen zu grollen, mit dem er so lange Zeit zusammengelebt und dem er so viel berufliches, emotionales, ja physisches Bemühen hatte angedeihen lassen. Also nahm ich in meiner Antwort die Einladung dankend an. Und da die Veranstaltung eine feierliche und der Ort gewissermaßen sagenhaft war, lieh ich mir einen grauen Flanellanzug aus, der mehr oder weniger meine Größe hatte, und vervollständigte ihn mit einer karminroten Krawatte und einer aufplatzbereiten Nelke im Revers. Mit dieser Aufmachung glaubte ich den Nagel auf den Kopf getroffen zu haben – Pustekuchen. Kaum gelangte ich zum angegebenen Zeitpunkt unter Vorweisung der Einladung vor den Eingang des edlen Kolosseums, schieden mich einige Saaldiener von den übrigen Teilnehmern, führten mich in ein elendes Kabäuschen und befahlen mir im Kasernenhofton, mich auszuziehen. Als ich nur noch die Socken am Leibe trug, steckten sie mich in einen grünen Nylon-Krankenhauskittel, vorn geschlossen und hinten mit einigen Bändern zusammengehalten, so dass die Gesäßbacken mit allem Drumherum zu sehen waren. In dieser Aufmachung geleiteten sie mich mehr gewaltsam als gutwillig in einen großen, dicht besetzten Prachtsaal und hießen mich ein Podium erklettern, neben dem in Toga und Barett Dr. Sugrañes referierte. Mein Auftritt löste erwartungsvolles Schweigen aus, das der Vortragende brach, um mich als einen der schwierigsten Fälle eines ganz der Wissenschaft gewidmeten Lebens zu präsentieren. Einen Zeigestock auf mich richtend, beschrieb er meine Ätiologie mit einer Fülle an Verfälschungen. Wiederholt versuchte ich mich gegen seine Anschuldigungen zu wehren, aber vergebens: Sowie ich den Mund öffnete, übertönte das Gelächter des Publikums meine Stimme und damit meine stichhaltigen Argumente. Dem Geehrten jedoch wurde respektvoll gelauscht; die Fleißigsten machten sich Notizen. Glücklicherweise endete der Vortrag bald. Nachdem er einige für mich schmachvolle, die Anwesenden aber
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher